Tagebuch
„wir suchen unsere Ignoranz auf und schlagen sie, wo wir sie finden“
Aby Warburg über seine Leitsätze
Anlässlich seines Seminars an der Universität Hamburg im Wintersemester 1925/26 formulierte Aby Warburg zwei Leitsätze – der liebe Gott, der im Detail stecke, ist vielzitiert und heute sehr bekannt. Aber auch der zweite, den Warburg an erster Stelle nennt, scheint heute als Apell aktuell.
Warburg in Hamburg an Johannes Geffcken in Rostock (Auszug), 16.1.1926:
„Als ich Anfang dieses Semesters zum ersten Mal ein Seminar von 15 richtigen Studenten der Kunstgeschichte eröffnen durfte (etwa 30 Jahre später als es sonst den Gelehrten vergönnt ist) sagte ich meinen jungen Waffengefährten, dass ich gern durch zwei Leitsätze bezeichnen möchte, was sie von der K. B. W. und mir zu erwarten hätten: 1. ‚wir suchen unsere Ignoranz auf und schlagen sie – mit Hilfe unserer Freunde – wo wir sie finden‘ und 2. ‚der Liebe Gott steckt im Detail‘. Es ist nicht zum Wenigsten das Beispiel der grossen deutschen Philologen, besonders Usener, den ich persönlich, wenn auch nur aus geistiger Ferne erleben durfte, das mich zur Formulierung der zweiten Maxime führte. Sie bedingt den Stil des Kampfes gegen unsere Ignoranz, den ich ad 1 forderte […] Mithelfen zu dürfen bei dem Rettungswerk, Deutschlands Idealismus aus somatisch verfangener Narzissität wieder zu restituieren, war schon lange vor dem Kriege das Ideal meines, durch das widerwärtige Kulturgeschwätz immer von Neuem angeforderten Eifers, der einem körperlich und geistig lebenden Organismus täglich von neuem abgerungen werden mußte; jetzt zeigt sich, woran ich nie gezweifelt habe, dass schon längst die bisher verdeckten Geschütze parat stehen, um die Schlacht gegen den ‚Culte de l’Incompetence‘ zu eröffnen.“
zitiert nach: Dorothea McEwan: „Wanderstraßen der Kultur“. Die Aby Warburg – Fritz Saxl Korrespondenz 1920 bis 1929 (Kleine Schriften des Warburg Institute London und des Warburg Archivs im Warburg Haus Hamburg 2), Hamburg und München 2004, S. 159.
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