Tagebuch

Warburg-Haus, Elliptische Deckenrosette im Lesesaal
Foto: Arvid Mentz, UHH RRZ MCC
Symbolische Formen. Der »Mythos« und seine politischen Formen
Veranstaltungsreihe im 2. Halbjahr zum Schwerpunktthema 2025
2024 wurde der 150. Geburtstag des großen Denkers Ernst Cassirer feierlich begangen. Auch 2025 ist ein bedeutsames Jahr im Cassirer-Kosmos: 1925 erschien der Zweite Teil der Philosophie der symbolischen Formen. Unter dem Titel Das mythische Denken entwickelt Cassirer seine Theorie des Mythos als einer der »symbolischen Formen«, die das System der Kultur ausmachen: Wenn Cassirer von »Mythos« spricht, dann meint er nur unter anderem das charakteristische Narrativ der weltbildenden Ursprungserzählung; er verwendet den Terminus pars pro toto auch in der Bedeutung von »mythisches Denken«, »mythisches Bewusstsein«, »mythische Lebensform«.
Der Themenschwerpunkt bietet Raum und Gelegenheit, der kulturhistorischen Entwicklung, wie der Aktualität des mythischen Denkens in gesellschaftlichen und politischen Dimensionen nachzugehen, in denen wir gerade auch gegenwärtig erleben, wie es seine starke Wirkung entfaltet. Mythisches Bewusstsein ist bestimmt durch die Dominanz der Emotion. Und es ist besessen von der Macht der Bilder. Seine Brisanz liegt dabei in seinem Mangel an Abstraktion und Reflexionsdistanz. Denn als elementare Form der Hervorbringung von Bedeutung durch Symbolisierung ist es stets an das Ausdrucksphänomen gebunden, und sein Kennzeichen die In-Differenz von Zeichen (Wort oder Bild) und Sache.
Mythisches Denken ist nach Cassirer keineswegs eine archaische Entwicklungsstufe. Mit ihm können wir es begreifen als den Mutterboden der Kultur. Spannweite und Permanenz der Wirkung sind in dieser Metapher nahegelegt und die Perspektive auf kulturelle Entwicklung in die Zukunft einbezogen. So wird verständlich, dass Cassirer bei aller eingehenden Untersuchung früher und indigener Kulturen ebensosehr Wert darauf legt, dass in der durch die moderne Wissenschaft geprägten Welt mythisches Bewusstsein weiterhin seine Funktion geltend macht – auch und gerade in seinen politischen Formen. So erklärt sich auch, dass er 1946 seine späte Untersuchung der Elemente totalitären Denkens unter den Titel stellen kann: The Myth of the State.
Das Programm mit wissenschaftlichen Vorträgen und Veranstaltungen findet in enger Kooperation mit unterschiedlichen Partnern und Institutionen statt. Vom 22. bis 26. September 2025 fand der internationale Studienkurs für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zum Thema »A Postcolonial Condition? Art, Literature, Film, and the Everyday in Eastern Europe« statt, der gemeinsam von Petra Lange-Berndt, Kunstgeschichtliches Seminar, Anja Tippner und Marina Gerber, Institut für Slavistik, Universität Hamburg, und der Aby-Warburg-Stiftung veranstaltet wurde. In der Vortragsreihe zum Jahresthema sprechen in der zweiten Jahreshälfte Philipp Osten, Medizinhistorisches Museum / UKE Hamburg, der aus Anlass des 96. Todestages von Aby Warburg die Warburg Lecture 2025 hält; Erhard Schüttpelz, Siegen, Wissenschaftspreisträger der Aby-Warburg-Stiftung 2025; sowie Juliane Rebentisch, Hochschule für bildende Künste, Hamburg, und Anfang 2026 Stefan Waller, Zhejiang Wanli University, Ningbo (China). Daneben finden weitere Veranstaltungen mit Kooperationspartnern statt: Die Präsentation der Neuausgabe von Martin Warnkes wegweisendem Buch Hofkünstler. Zur Vorgeschichte des modernen Künstlers in Kooperation mit den Herausgebern und dem Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, ein runder Tisch mit Vorträgen und Austausch zum Mythos Pasolini: Nachleben und Politisierung einer populären Figur aus Anlass des 50. Todestages von Pier Paolo Pasolini in Kooperation mit dem Sonderforschungsbereich 1472 Transformationen des Populären (Universität Siegen), der Galerie der abseitigen Künste Hamburg und dem Istituto di Cultura Italiano di Amburgo, eine Dialog-Führung in der Sammlung Alte Meister der Hamburger Kunsthalle sowie ein Workshop mit öffentlichen Vorträgen über Mythen von Nation und Wirtschaft: Zur Ikonologie der Rechten in Kooperation mit dem DFG-Forschungsprojekt »Bilder des Volkes« (Universität Hamburg) und der Zeitschrift engramma (Università IUAV, Venedig).
Der »Mythos« und seine politischen Formen