Journal

Warburg mit einer Maske der Tänzer der Hopi-Indianer, 1896

Plutôt mourir que mourir
Rather Die Than Die, Natacha Nisic, F 2017, 66min

Rather Die Than Die, Filmstill, Lesesaal im Warburg-Haus
Neuerscheinung DVD »Rather Die Than Die« von Natacha Nisic
Ein Film der Pariser Künstlerin über Aby Warburg und den I. Weltkrieg, der zum Teil im Warburg-Haus gedreht wurde
Für ihren jüngsten Film »Plutôt mourir que mourir« / »Rather Die Than Die« (Eher Sterben als Sterben), eine Auftragsarbeit des französischen Kulturministerium unter Federführung des Centre national des arts plastiques aus Anlass des hundertjährigen Jubiläums des Endes des I. Weltkrieges 2018, wählte Natacha Nisic, die 1967 geboren wurde und an der École Nationale Supérieure des Arts Décoratifs in Paris, der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin und an der Fémis Paris studierte, die Figur Aby Warburgs als Ausgangspunkt. Nach einer Erstausstrahlung auf Arte im Dezember 2017 und Vorstellungen mit Diskussionsrunden etwa zu Jahresbeginn im Louvre im Rahmen der 11. Internationalen Kunstfilmtage und im Februar im Deutschen Historischen Institut Paris ist der Film nun vom Centre national des arts plastiques und a.p.r.e.s. éditions als DVD herausgebracht worden.
Am 16. April stellt Natacha Nisic ihren Film persönlich im Warburg-Haus vor und spricht im Anschluss mit Dr. Susanne Gottlob (Hamburg) über ihre Arbeit und Warburg. Das Screening des Films in Kooperation mit flexibles Flimmern – das mobile Kino wird am 17. April wiederholt.
»Rather Die than Die« begibt sich auf die Spuren des ersten Weltkrieges indem er zwei narrativen Perspektiven folgt, die sich in der Person Aby Warburg kreuzen und damit einen ganz eigenen Blick auf den ersten Weltkrieg eröffnen, der auch bis heute weniger bekannte Aspekte beleuchtet.
Perspektiven auf den I. Weltkrieg mit Aby Warburg und den Indianern Nordamerikas
In ihrem Film greift Nisic sowohl die Indianer Nordamerikas und ihren Einsatz im I. Weltkrieg, als auch Warburgs Reaktion auf den I. Weltkrieg und seinen Vortrag über die Kultur der Pueblo-Indianer in Nordamerika auf, den er, knapp dreißig Jahre nach seiner Amerika-Reise, 1923 in der Heilanstalt Bellevue des bekannten Psychiaters Ludwig Binswanger in Kreuzlingen hielt, wo er sich zwischen April 1921 und August 1924 aufhielt. Insbesondere Hopi kämpften in den alliierten Truppen, für die sie sich überwiegend freiwillig meldeten, 1917 und 1918 in der Picardie und an der Somme. Über den Klinik-Alltag des Patienten Warburg, auf den der I. Weltkrieg so nachhaltig gewirkt hatte, wiederum gibt es detaillierte Notizen Ludwig Binswangers. Der Film nimmt den erzählerischen Faden auf, indem er schildert, wie Warburg sich bei einer Halluzination bei den Hopi-Indianern wiederfindet.
1895 begab sich Aby Warburg auf eine Amerika-Reise, die ihn bis 1896 auch in die Gebiete der Pueblo-Indianer im Südwesten der Vereinigten Staaten führte. Er zeigte sich überzeugt, dass der Zusammenhang zwischen heidnisch-religiösen Vorstellungen und künstlerischer Tätigkeit bei den Pueblo-Indianern in herausragender Weise erkennbar sei und das Studium ihrer Kultur höchst aufschlussreich sei zur Entstehung symbolischer Kunst.
Fast drei Jahrzehnte später griff er diese Erfahrung direkt auf in seinem berühmten Vortrag zum »Schlangenritual«. Den Vortrag Bilder aus dem Gebiet der Pueblo-Indianer in Nord-Amerika hielt Aby Warburg am 21. April 1923 in der Privatklinik Binswangers.
Wirkung des I. Weltkrieges auf Warburg
Während des I. Weltkrieges hatte Warburg die Aktivitäten seiner Bibliothek dahin ausgerichtet, dass eine »Kriegskartothek« entstand, mit einer Sammlung von Ausschnitten und Propagandamaterial zum ersten Weltkrieg und der Verzettelung von Tageszeitungen. Nach Kriegsende verschlechterte sich sein Gesundheitszustand. Ab 1921 hielt er sich in der Privatklinik Binswangers auf. Der Ausgang des ersten Weltkrieges spielte dabei eine Rolle. In den Worten Ulrich Raulffs: „Über Ausbruch und Verlauf von Warburgs Krankheit ist wenig bekannt, und man mag mit gutem Recht der Ansicht sein, daß dies so bleiben sollte. Feststeht, dass der Erste Weltkrieg und sein Ausgang, die deutsche Niederlage und der Sturz der Monarchie, wesentlich dazu beigetragen haben, Aby Warburg um sein seelisches Gleichgewicht zu bringen“.[1]
Den Vorschlag, den Vortrag am 21. April 1923 vor den Ärzten und Patienten der Klinik zu halten, unterbreitete Warburg Binswanger als sich Besserung einstellte, mit dem Gedanken unter Beweis zu stellen, dass er wieder zum wissenschaftlichen Arbeiten fähig sei und damit bald in sein gewohntes Umfeld an der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg in Hamburg zurückkehren zu können. Nach seiner Rückkehr 1924 fiel der Entschluss zum Neubau des Gebäudes der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg, dem heutigen Warburg-Haus, die 1926 feierlich eröffnet wurde. Bis zur Verschiffung der Bibliothek und allen Archivmaterials nach London 1933 zur Rettung vor den Nationalsozialisten, bestand mit dem während der Kriegsjahre gesammelten Material hier bereits ein Archiv zur politischen Propaganda des Ersten Weltkrieges, mit dem „die mobilisierende Wirkkraft der Agitation unmittelbar in ein historisches Forschungsprogramm umgesetzt“ wurde.[2]
Natacha Nisic hat selbst vor fünfundzwanzig Jahren eine Reise zu den Pueblo-Indianern unternommen, damals ganz unabhängig von Warburg und seiner Auseinandersetzung mit den indianischen Kulturen auf seiner Amerikareise. Dass sie nun aus Anlass ihrer Befassung mit dem I. Weltkrieg nach einem Besuch im Warburg Institute in London begann, sich intensiv mit Warburg auseinanderzusetzen, lässt die historische Koinzidenz auch wie eine notwendige Konsequenz im künstlerischen Werk erscheinen.
Umfangreiche Dreharbeiten im Warburg Institute, London, und im Warburg-Haus Hamburg
Für den Film realisierte Natacha Nisic schließlich die bis heute umfangreichsten Dreharbeiten im Warburg Institute, London. Es ist das erste Mal, dass im Warburg Institute und seinem Archiv so umfangreich gefilmt wurde. Teile des Films entstanden auch im Warburg-Haus Hamburg, dessen berühmter elliptischer Lesesaal einen zentralen Platz im Film einnimmt. Im Begleitbuch, das der DVD beiliegt, schreibt Nisic:
„We returned to this space many times over, repeating the path which took our gaze from the audience to the projection space. Warburg’s theatre of madness plays on a sense of repetition and variation. Over the course of the film, the theatre of the library mutates from reading room to lecture hall to screening room to hearing chambers.”[3]
Ihr Film reiht sich damit ein in ein Werk, in dem die Künstlerin seit Jahren auf vielfältige Weise die Beziehung zwischen Bildern, Worten, Interpretationen, Symbol und Ritual erforscht. Ihre Arbeiten verweben Erzählungen, Berichte von Vergangenheit und Gegenwart, um der Komplexität der Beziehungen zwischen dem Gesprochenen und dem Unausgesprochenen und dem Substrat der Erinnerung zwischen dokumentarischem Wert und Verlust nachzugehen. Ihre Arbeiten hinterfragen den Status von Bildern und die Möglichkeiten der Repräsentation durch den Gebrauch von verschiedenen Medien: Super 8, 16 mm, Video, Fotografie und Zeichnung. 2001 und 2016 hatte sie eine Residenz in der Villa Kujoyama und 2007 war sie Stipendiatin der Villa Medici in Rom. Sie hat in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Frankreich, Japan, Italien, Deutschland, Spanien, dem Vereinigten Königreich, Korea und Argentinien ausgestellt, darunter im MACRO Rom und im MNAM Centre Georges Pompidou Paris. Wichtige Einzelausstellungen hatte sie u.a. im Le plateau – FRAC Île‑de‑France, Paris (2003), Musée Zadkine, Paris (2005), im Atelier Hermès in Seoul (2012, mit Park Chan-Kyong) und im Jeu de Paume, Paris (2013/14). Im Mémorial de la Shoah, Paris, sind ihr Film La porte de Birkenau und eine raumgreifende Installation von Photographien, Le Mémorial des enfants, zu sehen, die sie 2005 für die Dauerausstellung realisierte.
[1] Ulrich Raulff: Nachwort, in: Aby M. Warburg: Schlangenritual. Ein Reisebericht, hg. v. Ulrich Raulff (1988), Berlin 1992, S. 63-94, S. 63.
[2] Martin Warnke: Bildindex zur politischen Ikonographie, mit einer Einführung von Martin Warnke, Hamburg: Forschungsstelle Politische Ikonographie, Kunstgeschichtliches Seminar der Universität Hamburg 1996, S. 11.
[3] Natacha Nisic: Rather Die than Die, text im Booklet zur DVD, 2018, S. 23.
DVD Plutôt Mourir que Mourir / Rather Die than Die (2018)
66 Minuten, französische und englische Sprachversion
Centre national des arts plastiques und a.p.r.e.s. éditions, Paris
Mit einem Booklet (40 S.) mit Texten von Natacha Nisic und Annette Becker in Französisch und Englisch
Plutôt Mourir que Mourir / Rather Die than Die, F 2017, 66 min.
Regie, Aufnahmen, Montage : Natacha Nisic
Musik: Philippe Langlois
Ton: Nicolas Waschkowski
Produktion: Seconde Vague Productions, in Zusammenarbeit mit Arte – La Lucarne
Neuerscheinungen / Politische Emotionen

Online: Vortrag von Elisabeth Bronfen
Hermiones Rückkehr - Das Nachleben einer Pathosgeste
Vortrag der Trägerin des Wissenschaftspreises der Aby-Warburg-Stiftung 2017 Elisabeth Bronfen, Ordinaria am Englischen Seminar der Universität Zürich und Global Distinguished Professor an der New York University, anlässlich der Verleihung der Martin Warnke-Medaille am 19.12.2017 im Warburg-Haus…
Latenz in den Künsten / Martin Warnke-Medaille / Publikationen / Wissenschaftspreis

Buchvorstellung: Stimmungs-Atlas »B wie Blickfänger«, ein Buch über das Bild »Betty« von Gerhard Richter
Podiumsdiskussion der Autoren Insa Härtel und Karl-Josef Pazzini mit Nora Sdun (Textem Verlag) und Benjamin Fellmann (Warburg-Haus)
Am Montag, den 18. Dezember 2017 fand als Kooperationsveranstaltung des Warburg-Hauses mit dem Hamburger Textem-Verlag im Rahmen des Jahresschwerpunktes “Latenz in den Künsten” die Vorstellung des Buches Stimmungs-Atlas »B wie Blickfänger« statt. Von 20.00 Uhr bis 21.30 Uhr…
Latenz in den Künsten

Verleihung der Martin Warnke-Medaille an Elisabeth Bronfen
Anschließender Vortrag der Preisträgerin: "Hermiones Rückkehr - Das Nachleben einer Pathosgeste"
Prof. Dr. Elisabeth Bronfen wurde am Dienstag, den 19. Dezember 2017, 19 Uhr, im Warburg-Haus feierlich die Martin Warnke-Medaille verliehen. Sie ist Ordinaria am Englischen Seminar der Universität Zürich und seit 2007 zugleich Global Distinguished Professor an der New York University. Ihre…
Latenz in den Künsten / Martin Warnke-Medaille / Wissenschaftspreis

Online: Vortrag von Anselm Haverkamp
Saussure, der Text, die Bilder
Vortrag von Anselm Haverkamp, Professor of English Emeritus der New York University, New York, Professor Emeritus der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder und Honorarprofessor am Lehrstuhl für Philosophie I der Ludwig-Maximilians-Universität München, am 21.11.2017 im Rahmen der…
Latenz in den Künsten / Publikationen

Seminar »Latenzen im Museum – Bilder im Depot und Bilder als Depot« in der Hamburger Kunsthalle
Eine Kooperation im Rahmen des Schwerpunktthemas "Latenz in den Künsten"
Mit Sandra Pisot, Leitung Sammlung Alte Meister, Hamburger Kunsthalle, Benjamin Fellmann, Warburg‐Haus, Elena Tolstichin, Warburg‐Haus / Forschungsprojekt Bilderfahrzeuge, im Depot Alte Meister und den Reformationskabinetten. Eine Kooperationsveranstaltung der Hamburger Kunsthalle und des…
Latenz in den Künsten

Online: Vortrag von Martin von Koppenfels
›Dream on, dream on, of bloody deeds and death‹: Alptraum und Geschichte in Shakespeares ›Richard III‹
Vortrag von Martin von Koppenfels, Professor am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München, am 24.10.2017 im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema Latenz in den Künsten im Warburg-Haus. Die Aufzeichnung erfolgte durch das…
Latenz in den Künsten / Publikationen

Online: Vortrag von Christopher Wood
3 Frauen
Vortrag von Christopher Wood, Professor und Chair des Department of German der New York University, am 4.7.2017 im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema Latenz in den Künsten im Warburg-Haus. Die Aufzeichnung erfolgte durch das Team des eLearning-Büros der Fakultät für…
Latenz in den Künsten / Publikationen

Die Künste als Archive eines Ausgleichswissens
Cornelia Zumbusch zum Nachdenken über Gleichgewicht im Warburg-Haus anlässlich der Tagung Latente Spannungen - Figuren des Äquilibriums
Das Deckenlicht im Lesesaal der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg ist nicht rund, sondern oval. Durch diese Glaskonstruktion wird der elliptische Raum augenfällig. Die Ellipse war für Warburg als Denkfigur zentral, und das aus mehreren Gründen. In Warburgs Forschungen zur Geschichte…
Latenz in den Künsten

Das Äquilibrium als Modell und mögliche Daseinsmetapher
Eckart Goebel zum interdisziplinären Forschungsfeld anlässlich der Tagung Latente Spannungen - Figuren des Äquilibriums
Unterschiedliche Modelle des Ausgleichens und Balancierens, aber auch die Artikulation einer tiefsitzenden Angst vor dem Verlust des Gleichgewichts von der Antike bis in die Gegenwart zählen zu den Basiselementen kultureller Erfahrung und deren Reflexion. Das alte, von der thebanischen Sphinx dem…
Latenz in den Künsten

Thementag Warten/Latenz in der Hamburger Kunsthalle und im Warburg-Haus
Dialogführung und Vorträge im Rahmen des Schwerpunktthemas "Latenz in den Künsten"
Eine Kooperation mit der Hamburger Kunsthalle zur Ausstellung »Warten. Zwischen Macht und Möglichkeit« WARTEN / LATENZ: Die Veränderung unserer Lebenswelten schreitet mit hohem Tempo voran. Das aktuelle Schwerpunktthema des Warburg-Hauses fragt danach, was mit Vergangenem passiert. Warburgs…
Latenz in den Künsten

Online: Vortrag von Niklaus Largier, Berkeley
Latente Beziehungen: Figur, Plastizität und ›Nachleben‹ bei Warburg und Auerbach
Eine Veranstaltung im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema Latenz in den Künsten, 22.5.2017. Die Aufzeichnung erfolgte durch das Team des eLearning-Büros der Fakultät für Geisteswissenschaften und steht auf der UHH-eigenen Plattform Lecture2Go bereit.…
Latenz in den Künsten / Publikationen

Online: Vortrag von Cornelia Wild, München
Flüchtige Form. Passantinnen bei Baudelaire, Freud und Warburg
Eine Veranstaltung im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema Latenz in den Künsten, 25.4.2017. Die Aufzeichnung erfolgte durch das Team des eLearning-Büros der Fakultät für Geisteswissenschaften und steht auf der UHH-eigenen Plattform Lecture2Go bereit.…
Latenz in den Künsten / Publikationen

Künstlergespräch mit Ursula Schulz-Dornburg
Im Rahmen des Schwerpunktthemas "Latenz in den Künsten"
Eine Kooperation mit der Hamburger Kunsthalle zur Ausstellung “Warten. Zwischen Macht und Möglichkeit” Das was war und das was kommt, verdichtet sich im Nicht-Ort, im Bild des Wartens an der Haltestelle. Latent und doch spürbar, ruhig und klar, surreal und beunruhigend. Ein Gespräch…
Latenz in den Künsten

Latency in the Arts
Focus Topic 2017
Our modern lifeworlds or lived realities change at breakneck speed – and yet things that seem outmoded, the things we believe to have discarded, do not just disappear from the world. So what happens to the things that were there before? How does something fall into oblivion, then continue to…
Latenz in den Künsten