Journal
Die Ellipse als visuelles Symbol der Freiheitsidee
Warburg und Cassirer I
Im ehemaligen Lesesaal der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg tagen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei ihren Veranstaltungen unter einem elliptischen Oberlicht. Dies ist ausdrücklich dafür geschaffen, dass man sich hier an Freiheit erinnert und zur Freiheit ermutigt sieht. Aby Warburg hatte bei der Einrichtung seiner Kulturwissenschaftlichen Bibliothek 1926 mit Bedacht der Decke des Lesesaales die Form der Ellipse gegeben und ihr das elliptische Oberlicht einsetzen lassen, das diesem Raum sein auffälliges Format gibt. Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg war der Erforschung des Nachlebens der Antike gewidmet, und das heißt insbesondere der Renaissance. Für die Denker der Renaissance war die von Johannes Kepler 1605 entdeckte, 1609 veröffentlichte elliptische Form von Planetenumlaufbahnen ein Zeichen dafür, dass es Freiheit im Kosmos gäbe, und Aby Warburg hat sich – durch den befreundeten Philosophen Ernst Cassirer darin ausdrücklich bestätigt – für die Ellipse entschieden, um diese kosmologische Freiheitsidee der Renaissance durch ein visuelles Symbol im Bewusstsein zu halten. Man sagt nicht zu viel, wenn man darauf hinweist, dass mit der Freiheit, so wie sie hier veranschaulicht sein soll, sowohl die Freiheit des Willens wie die politische, bürgerliche Freiheit im Staat wie die Freiheit des Denkens und der Wissenschaft beschworen ist.
„Ein singuläres Dossier des Unentdeckten“
Aby Warburg hat auf Ernst Cassirer insbesondere als genialer Sammler einer beispiellosen Bibliothek von Anfang an stark gewirkt. Hans Blumenberg hat in seiner Gedenkrede auf Ernst Cassirer 1974 die K.B.W. als „ein singuläres Dossier des Unentdeckten“ bezeichnet und er formuliert weiter: „Die Theorie dieser Bibliothek, wenn man es so sagen darf, […] war Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen (1923-29).“[1] Cassirers produktive Freundschaft mit Aby Warburg begann 1924. Den Kontakt mit der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg hatte er nach seiner Berufung nach Hamburg 1919 schon sehr früh, 1921, aufgenommen und kontinuierlich gepflegt. Er hat hier, in dieser einzigartigen Bibliothek, deren 60 000 Bände nach dem Prinzip der „guten Nachbarschaft“ aufgestellt waren und deren Bestände mit den Forschungshorizonten ihrer Nutzer mitwuchsen, Unmengen an Büchern ausgeliehen.
Nachweisbar dürfte der Einfluss der ungewöhnlichen und ungewöhnlich reichen Bibliothek auf die Ausformung von Cassirers Theorie insbesondere in den materialen ethnologischen Beiträgen zur Philosophie der Sprache, ferner in der Philosophie des Mythos und natürlich in der Abhandlung über Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance sein, die 1927 als Band 10 in den Studien der Bibliothek Warburg erscheinen sollte und die Cassirer nicht zufällig Aby Warburg gewidmet hat.
Abgesehen davon war die K.B.W. erheblich viel mehr und anderes als bloß eine reichbestellte Bibliothek. Das Tagebuch der K.B.W., das den Charakter von Gesprächsprotokollen aus der regelmäßigen Redaktionssitzung der Bibliotheksleiter mit Aby Warburg hat, lässt deutlich erkennen, dass da nicht nur Bücher angeschafft und verwaltet wurden. Da wurden theoretischen Texten aussagekräftige Bilder zugeordnet und deren Reproduktionen in Auftrag gegeben, Publikationsprojekte und Editionen betreut, im Entstehen und Erscheinen begriffene Texte redigiert, Dissertationen angeregt und vermittelt und überhaupt in jedem nur denkbaren Ausmaß wissenschaftliche Kontakte gestiftet und Beziehungen gepflegt. Es wird deutlich, dass Cassirer dort nicht nur ein und aus ging, sondern dass dort zeitweilig eine Art Arbeitsstelle für ihn tätig war: Die Arbeitsanteile etwa von Meyer, Klibansky, Noack und dem „kleinen Dr. Ritter“ (gemeint ist Joachim Ritter, Cassirers letzter Assistent in Hamburg) im Umfeld von Cassirers Buch Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance, wurden dort von Fritz Saxl, dem Leiter der Bibliothek, eingeteilt (vgl. GS VII, 91).
von Birgit Recki
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