Journal
Bildkarte des Monats: August
Fundstücke aus dem Digitalisierungsprojekt »Bildindex zur Politischen Ikonographie«
Hand und Auge
El Lissitzkys »Der Konstrukteur« und der Kunstanspruch der Fotografie
In der Fotomontage Der Konstrukteur von 1924 verband El Lissitzky ein Selbstbildnis mit der Aufnahme seiner Hand. Demonstrativ einen Zirkel haltend und mit weiteren bildlichen Hinweisen auf das Ingenieurs- und Konstruktionswesen umgeben, wird die Hand zum Symbol technisch-fortschrittlicher Arbeit und verbindet sich mit dem Motiv des alles durchdringenden Auges, gewiss auch als Anspielung auf die Wahrnehmungsmedien des Fotografen: »Die Objektive und Okulare, die Präzisionsinstrumente und Spiegelreflexkameras, das Kino mit der Zeitlupe und Zeitraffer, die Röntgen- und X, Y, Z-Strahlen haben in meine Stirn noch 20, 2.000, 2.000.000 haarscharfe, geschliffene, abtastende Augen gesetzt« (zitiert nach Sophie Lissitzky-Küppers: El Lissitzky, Dresden 1967, S. 325). Die Komposition ruft damit das Programm des Konstruktivismus als Kunstform auf, und entsprechend setzten Franz Roh und Jan Tschichold das Werk als Titelbild auf ihr Buch Foto-Auge von 1929, das in der Rubrik »Gesten / Kopf in der Hand« (200/155) in den Bildindex zur Politischen Ikonographie eingegangen ist.
Wie der Konstrukteur, der Kopf und Hand – mithin Theorie und Praxis, Idee und Ausführung – gleichermaßen verpflichtet ist, sei auch der Fotograf ein Künstler im modernen Sinne, so die Position der Publikation. Das war zu Beginn des 20. Jahrhunderts keineswegs selbstverständlich, schien die Apparatur der Kamera doch zunächst die schöpferische Subjektivität des Urhebers in Frage zu stellen. Im Gegensatz zum mechanisch ausgelösten Bild der Fotografie schrieb man dem Zeichen- und Pinselstrich aus freier Hand die individuellen Charakteristika künstlerischer Autorschaft unmittelbar zu. Um auch den Fotografen als Künstler zu positionieren, bezog sich Roh im Vorwort des Buches mit El Lissitzkys Fotomontage auf den in erster Linie geistig arbeitenden oder am Reißbrett entwerfenden Künstler und berief sich dabei auf den von Gotthold Ephraim Lessing etablierten Topos vom »Künstler ohne Hände« (vgl. Franz Roh u. Jan Tschichold: Foto-Auge, Stuttgart 1929, S. 3). Eine nicht mehr von der manuellen Ausführung abhängige Kunst wird so zu einer zeitgemäßen Ausdrucksmöglichkeit, künstlerische Anschauung und Produktion werden auf diese Weise demokratisiert.
In Lessings Trauerspiel Emilia Galotti von 1772 findet sich mit dem Maler Conti einer jener Hofkünstler, wie ihn Martin Warnke in seinem gleichnamigen Buch untersucht hat (vgl. Der Hofkünstler. Zur Frühgeschichte des modernen Künstlers, Köln 1985). Zu Beginn des Stückes (1. Akt, 4. Auftritt) lobt der Fürst Gonzaga das Porträtgemälde der Titelheldin, um deren Person die politischen wie privaten Wirrnisse des Dramas gesponnen sind (»Bei Gott! wie aus dem Spiegel gestohlen«). Doch Conti hält dem Fürsten entgegen, dass das Ziel seiner Malerei nicht gewesen sei, naturgetreue Ähnlichkeit zu schaffen; vielmehr sei seine Vision der Dargestellten der handwerklichen Ausführung weit überlegen, was ihn zu einem großen Künstler mache: »Oder meinen Sie, Prinz«, so die rhetorische Frage, »daß Raffael nicht das größte malerische Genie gewesen wäre, wenn er unglücklicherweise ohne Hände wäre geboren worden?« Die imaginative Konzeption eines Kunstwerks stellt für ihn den eigentlichen künstlerische Akt dar und nicht deren handwerkliche Materialisierung auf der Leinwand.
Die Porträtmalerei, die Lessing dazu nutzte, die Protagonistin seines Stückes zunächst im Bild erscheinen zu lassen, bevor sie ihren eigentlichen Auftritt hat, evoziert die Frage nach dem Verhältnis der Kunst zu ihrem natürlichen Vorbild auf besondere Weise. Die künstlerische Realisierung der Schönheit als – laut Lessings Laokoon oder über die Grenzen der Mahlerey und Poesie von 1766 – höchstem Gesetz der Malerei spielt das Drama gegen eine von kunstfremden Motiven bestimmte Wahrnehmung aus, die in der Hinwendung des verliebten Fürsten zur Dargestellten ihre Beweggründe hat. Lessing griff für das Kunstverständnis, das er Conti formulieren lässt und das mit dessen »Raffael ohne Hände« zu einem geflügelten Wort wurde, auf Vorstellungen der antiken Philosophie zurück: Nach idealistischer Kunstauffassung geht die Reinheit der Idee, die Schönheit des inneren Bildes in der materiellen Ausführung verloren (vgl. Erwin Panofsky: Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie, Leipzig 1924). »Ha! daß wir nicht unmittelbar mit den Augen malen!«, lässt Lessing den Maler von einer Bildtechnik träumen, die nicht mehr auf die Übertragung einer Idee durch handwerkliches Geschick angewiesen ist, sondern eine direkt fixierbare Visualität ermöglicht.
Von Theoretikern der frühen Kunstfotografie wurde im Rekurs auf Lessings »Raffael ohne Hände« das Sehen selbst bereits als künstlerische Bildwerdung verstanden: »Braucht man daher nur technisches Rüstzeug zu beherrschen, um ein guter Fotograf zu sein?« (Roh u. Tschichold 1929, S. 5). Der Schöpfungsprozess des Fotokünstlers, der eben nicht von manuellen Befähigungen abhänge, trete in der Reduktion der Mittel umso deutlicher hervor, in der Auswahl des Gegenstandes, in den Möglichkeiten wechselnder Blickpunkte, des Ausschnitts und der Lichtverhältnisse zeige sich ein »organisierendes, individualisierendes Prinzip« (ibid.). Mit der Technik der Fotografie, deren mimetische Wiedergabetechnik damit programmatisch in ein schöpferisches Ideal verkehrt wird, könne der künstlerische Sehprozess, der Wunsch danach, »unmittelbar mit den Augen [zu] malen«, wirklich werden. Im Rückgriff auf Lessings Diktum vom »Künstler ohne Hände«, vom Ideenkünstler konnte sich die Fotografie als Kunst emanzipieren und ein veränderter Originalitätsanspruch durchgesetzt werden. So hatten sich Fotografen auch vor Gericht bei Honorarstreitigkeiten wiederholt auf Lessing berufen, bis auch ihnen schließlich ein Urheberrecht zugesprochen wurde.
Die Frage, was Kunst ausmacht, durchzieht die Geschichte des Bilderschaffens seit der Moderne in wiederkehrender Form. Fielen die Künste zunächst unter das Handwerk, wurden sie seit der Frühen Neuzeit in freie und angewandte Künste getrennt, zwischen denen die Grenzen immer aufs Neue verschoben wurden. Die Kunstfrage trat und tritt vermehrt dann auf, wenn mit der Entwicklung neuer Techniken etablierte Verfahren in Frage gestellt werden wie etwa beim Aufkommen des Kupferstiches, der Fotografie oder des Offsetdruckes. Aber auch bei Kunstformen des Ready-made, der Pop Art oder der Appropriation Art, und nicht zuletzt in vielen Urheberrechtsdebatten in Zeiten virtueller medialer Verbreitung beschwören ästhetische Fragen juristische, wirtschaftliche und politische Konflikte herauf. Will ein neues Verfahren seinen Kunstanspruch behaupten, muss es sich einem Aushandlungsprozess unterziehen und Überzeugungsarbeit leisten. Dabei werden oft Argumente angeführt, die ihrerseits in der Tradition verwurzelt sind, wie es das überraschende Aufscheinen des Topos vom »Künstler ohne Hände« im Text von Franz Roh, aber auch in El Lissitzkys Fotomontage zeigt, in der Hand und Auge ganz buchstäblich zur Deckung gebracht werden.
Laura Gronius
Bilder als Akteure des Politischen / Politische Ikonographie
Diskussion mit Ursula Frohne zum Vortrag anlässlich des 91. Todestages von Aby Warburg: »Bilderströme. Vernetzte Bildordnungen im Zeitalter des digitalen Apriori«
Videokonferenz mit Ursula Frohne zum Online-Vortrag
Ursula Frohne, Münster, hielt auf Einladung der Aby-Warburg-Stiftung im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema »Die Künste im technischen Zeitalter II« den Vortrag anlässlich des diesjährigen 91. Todestages von Aby Warburg: »Bilderströme. Vernetzte Bildordnungen im Zeitalter des…
Aby Warburg / Die Künste im technischen Zeitalter II / Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg
Online: Vortrag von Ursula Frohne anlässlich des 91. Todestages von Aby Warburg
Bilderströme. Vernetzte Bildordnungen im Zeitalter des digitalen Apriori
Coronabedingt wird der Vortrag dieses Jahr online zur Verfügung gestellt. Ursula Frohne, Münster, hält auf Einladung der Aby-Warburg-Stiftung im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema »Die Künste im technischen Zeitalter II« den Vortrag anlässlich des diesjährigen 91. Todestages von…
Aby Warburg / Die Künste im technischen Zeitalter II / Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg / Publikationen
Online: Vortrag anlässlich des 90. Todestages von Aby Warburg
Bill Sherman, The Warburg Institute, London: Aby Warburg and the Renaissance of the Library
Anlässlich des 90. Todestages von Aby Warburg lud die Aby-Warburg-Stiftung am Montag, den 25. November 2019 um 19 Uhr zum Vortrag von Bill Sherman, Direktor des Warburg Institute, London: »Aby Warburg and the Renaissance of the Library«. Bill Sherman war Gründungsdirektor des…
Aby Warburg / Die Künste im technischen Zeitalter / Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg / Publikationen
Online: Vortrag von Christoph Martin Vogtherr anlässlich des 89. Todestages von Aby Warburg
Zufall als künstlerische Methode. Watteau, Caylus und die Pariser Akademie
Anlässlich des 89. Todestages von Aby Warburg lud die Aby-Warburg-Stiftung am Dienstag, den 30. Oktober 2018 um 19 Uhr ein zum Vortrag von Christoph Martin Vogtherr, Direktor der Hamburger Kunsthalle: »Zufall als künstlerische Methode. Watteau, Caylus und die Pariser Akademie«. Aby Warburg…
Aby Warburg / Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg / Publikationen
Hila Laviv: SommerHaus-CutOut
An exhibition and performance in the reading room inspired by Anna Warburg's memory album, October 15th + 18th, 2018
Curated by Gil Cohen. Monday, October 15th, 7.30 pm Thursday, October 18th, 7 pm Inspired by Anna Warburg’s memory album of the Kösterberg, the historic family estate of the Warburg family in Blankenese/Hamburg, Israeli artist Hila Laviv held, with the help of Dana Yoeli, an exhibition and…
Ausstellung / Die Künste im technischen Zeitalter / Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg / Universitätsjubiläum 2019
152nd Birthday of Aby Warburg
Aby Moritz Warburg, 13.6.1866 - 26.10.1929
Today is Aby Warburg’s 152nd birthday! Online dossiers of the Warburg-Haus provide a biographical introduction on Aby Warburg and the history of the Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg. The links lead directly to pages with overviews on Aby, the K.B.W. and the Warburg-Haus in Hamburg…
Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg / OnThisDay
28. Juli 2017 – 143. Geburtstag des Philosophen Ernst Cassirer
von Birgit Recki anlässlich des Geburtstages des großen Kulturphilosophen und Erkenntnistheoretikers
Ernst Cassirer, der sein philosophisches Werk in engem Kontakt mit der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg und im intensiven Austausch mit ihrem Gründer entwickelte, wurde am 28. Juli 1874 als zweites von sieben Kindern des Kaufmanns Eduard Cassirer und seiner Frau Jenny in Breslau…
Ernst Cassirer / Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg
“Deines Geistes Reife”: Erwin Panofsky schreibt Ernst Cassirer ein Kurzgedicht
Zum Geburtstag von Ernst Cassirer: Ein Fundstück aus dem Warburg-Archiv
Zum Geburtstag des bedeutenden Kulturphilosophen und Philosophiehistorikers, Erkenntnis- und Wissenschaftstheoretikers Ernst Cassirer (*28. Juli 1874) zeigen wir ein Fundstück aus dem Warburg-Archiv im Warburg-Haus, Nr. 1048: Panofsky an Cassirer Deines Geistes Reife Tat mir arg…
Ernst Cassirer / Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg
„wir suchen unsere Ignoranz auf und schlagen sie, wo wir sie finden”
Aby Warburg über seine Leitsätze
Anlässlich seines Seminars an der Universität Hamburg im Wintersemester 1925/26 formulierte Aby Warburg zwei Leitsätze – der liebe Gott, der im Detail stecke, ist vielzitiert und heute sehr bekannt. Aber auch der zweite, den Warburg an erster Stelle nennt, scheint heute als Apell…
Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg / OnThisDay
Studien der Bibliothek Warburg digital zugänglich
Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg digitalisiert Publikationen der K.B.W.
Über die Staats- und Universitätsbibliothek ist nun ein Teil der Studien der Bibliothek Warburg digital und open access abrufbar. So kann man beispielsweise den 1924 erschienenen Band “Die Geburt des Kindes. Geschichte einer religiösen Idee” von Eduard Norden nicht nur auf der…
Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg
Die Ellipse als visuelles Symbol der Freiheitsidee
Warburg und Cassirer I
Im ehemaligen Lesesaal der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg tagen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei ihren Veranstaltungen unter einem elliptischen Oberlicht. Dies ist ausdrücklich dafür geschaffen, dass man sich hier an Freiheit erinnert und zur Freiheit ermutigt sieht. Aby…
150. Geburtstag Aby Warburgs / Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg
„Fühlungnahme durch tägliche Tagebuchnotizen“
Vor 90 Jahren: die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg beginnt ihr Tagebuch
Heute vor 90 Jahren, am 24. August 1926, führte Aby Warburg das „Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg“ ein. Nach dem Einzug der K.B.W. in den Neubau sollten regelmäßige Eintragungen Warburgs und der Kollegen Gertrud Bing und Fritz Saxl die Aktivitäten in der…
Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg / OnThisDay
Die Diasammlung. Labor und Archiv der Kunstgeschichte in Hamburg
Ausstellungstipp
Mit der Digitalisierung verlieren Diapositive für die kunstgeschichtliche Forschung und Lehre an Bedeutung – höchste Zeit, sie als historische Objekte und Zeugnisse der Wissenschaftsgeschichte in den Blick zu rücken: Studierende am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg sind…
Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg
Volles Warburg-Haus mit Aby und Mary, Wissenschaft und Kunst
Rückblick auf den Tag der offenen Tür zum 150. Geburtstag von Aby Warburg
Ein volles Haus zu Ehren Warburgs! So viele interessierte Besucherinnen und Besucher zu unserem Tag der offenen Tür zum 150. Geburtstag des Kunst- und Kulturwissenschaftlers begrüßen zu können, war ein tolles Geburtstagsgeschenk am 13. Juni. Die rege Berichterstattung und das große…
150. Geburtstag Aby Warburgs / Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg / Mary Warburg / Publikationen / Warburg-Professur
Bau und Bibliothek
Zum 90. Jahrestag der Eröffnung der K.B.W.
Am 1. Mai 1926 wurde die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg mit einem Vortrag von Ernst Cassirer feierlich eröffnet. Architektur und Bibliothek, Innen und Außen waren in der Konzeption der K.B.W. auf das Engste verknüpft. Genau diese Beziehung zwischen Bau und Büchern bildete auch den…
Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg