Tagebuch

Bildkarte des Monats: November
Fundstücke aus dem Digitalisierungsprojekt »Bildindex zur Politischen Ikonographie«
Are symbols innocent?
Zeitzeugnisse des italienischen Faschismus in Rom
Eine ungewöhnliche Bildkarte, denn zu sehen ist die Existenz der Nichtexistenz. Das klingt zuerst einmal verwirrend, aber so kompliziert ist es gar nicht. Zu sehen nämlich ist der Ausschnitt einer Hausfassade im römischen Viertel Garbatella, aus der etwas gewaltvoll herausgebrochen wurde, wodurch ein Loch in der Wand zurückgeblieben ist. Das Besondere an dieser Leerstelle ist, dass durch deren Form noch erkennbar ist, was zuvor dort angebracht war: das Symbol des Liktorenbündels. Dieses bestand aus mehreren Ruten, die mit einer Schnur zu einem Bündel (fasces) zusammengefasst waren, in das ein Beil gesteckt wurde. Das Symbol war Teil einer Steintafel, die noch immer die Inschrift »Istituto case popolari Roma« trägt, einer staatlichen Einrichtung, die sich in den letzten hundert Jahren dafür einsetzte, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Das Symbol begegnet uns heute noch auf dem Wappen von St. Gallen, dem Senatssiegel der Vereinigten Staaten von Amerika und auf Bannern von neofaschistischen Vereinigungen. Zum ersten Mal erschien das Liktorenbündel bereits bei den Etruskern und wurde, wie so vieles, vom Römischen Reich übernommen. Dort trugen die Leibwächter (Liktoren) der höheren Staatsangestellten, also der Magistraten, Diktatoren und Konsuln, das Rutenbündel als Symbol der Macht ihrer Herren. Innerhalb der Stadtmauern fehlte dabei die tödliche Axt, was darauf hinweisen sollte, dass die Bürger Roms nicht ohne Gerichtsprozess hingerichtet werden durften. Einzig der Diktator und seine Liktoren trugen das Bündel auch innerhalb Roms mitsamt der eisernen Klinge, dem Zeichen absoluter Macht selbst über Leben und Tod. Das Symbol überlebte den Untergang des Römischen Reiches und tauchte in verschiedenen politischen Kontexten wieder auf, etwa während der Französischen Revolution.
Auch Benito Mussolini, der faschistische Diktator Italiens und Verbündete Hitlers, nutzte das Liktorenbündel für seine Zwecke. Mussolini war bemüht, eine ideologische Verknüpfung zwischen dem Römischen Reich und seinem Regime herzustellen. Er verstand den faschistischen Staat als Nachfolger des gewaltigen Reiches und begründete damit seinen Machtanspruch sowie die überlegene Rolle Italiens in der Welt. Ihren propagandistischen Zweck erfüllten die miteinander verbundenen Stäbe aber auch als Zeichen des Zusammenhalts und der Kraft, da ein einzelner Stab leichter bricht als ein Rutenbündel. Schon bald nach dem Machtantritt Mussolinis 1922 war das Symbol überall in Italien gegenwärtig, es prangte sowohl auf dem Staatswappen als auch auf den Flugzeugen der Luftwaffe, war das Abzeichen der italienischen Division der Waffen-SS und verbreitete Angst und Schrecken unter anderem im Kampf gegen Partisanen. Aber auch im alltäglichen Leben der Menschen, auf Münzen und Briefmarken, war das Liktorenbündel omnipräsent.
Aby Warburg, der sich besonders für die Wanderung antiker Formen und Symbole interessierte, integrierte italienische Briefmarken mit den Liktorenbündeln in seinen Vortrag über Die Funktion des Briefmarkenbildes im Geistesverkehr der Welt vom 13. August 1927 (vgl. Bilderreihen und Ausstellungen (hrsg. v. Uwe Fleckner u. Isabella Woldt), Berlin 2012, S. 151-191). Er verglich darin eine der Briefmarken mit einer Marke aus England, auf der sich der König des Inselreichs auf einer von Neptun gezogenen Kutsche abbilden ließ und damit seine Autorität mit der des mächtigen Meeresgottes verglich. In der direkten Gegenüberstellung zum Symbolgebrauch in Italien bemerkte Warburg, dass der englische König mit einer gewissen Distanz auf die antiken Formen zurückgriff, denn er setzte sich und die Macht des antiken Gottes nicht gleich. Das Liktorenbündel Mussolinis sah Warburg hingegen als unmittelbares Bildzeichen einer realen Androhung von Gewalt.
Durch diesen historischen Bezug ist es verständlich, warum das Liktorenbündel an der Hauswand im römischen Garbatella nach dem Ende des Faschismus abgeschlagen wurde. Doch anders als die nationalsozialistischen Symbole in Deutschland wurde die Bildpropaganda des italienischen Faschismus nicht völlig aus dem öffentlichen Raum entfernt: »Why are there so many Fascist Monuments still standing?«, fragte Ruth Ben-Ghiat 2017 in The New Yorker und wies darauf hin, dass beispielsweise noch immer Zitate von Mussolini unkommentiert auf faschistischen Architekturen prangen oder der ehemalige Ministerpräsident Matteo Renzi sich vor einem Wandgemälde ablichten ließ, auf dem Mussolini als gottähnliche Figur porträtiert und dessen Partei verherrlicht wird. Wie aktuell die Auseinandersetzung mit historischen Zeugnissen im öffentlichen Raum ist, zeigen die Denkmalstürze aus der letzten Zeit. Statuen von Personen, die Kolonialverbrechen begangen hatten, wurden in einigen westlichen Ländern öffentlichkeitswirksam mit Graffiti kommentiert, geköpft oder abgerissen. Um sich mit der historischen Thematik des Demolierens von Denkmälern auseinanderzusetzen, lohnt ein Blick in die Kategorie »Denkmalsturz« im Bildindex zur Politischen Ikonographie. Der Hamburger Index wird darüber hinaus durch einen Sonderbestand mit Bildkarten zur faschistischen Architektur und Bauskulptur Italiens (Nordhoff-Archiv) ergänzt, aus dem auch das hier beschriebene Beispiel stammt. Der Sonderbestand umfasst etwa 850 Bildkarten und konnte dank der 1994 aufgenommenen Fotografien der Kunsthistorikerin Claudia Nordhoff eingerichtet werden.
Im unmittelbaren Gegensatz zum Abriss steht die Weiterverwendung faschistischer Architektur ohne jede Kontextualisierung. So verweist der 1938 bis 1942 erbaute Palazzo della Civiltà Italiana in Rom, umgangssprachlich auch das »Colosseo quadrato« genannt, auf Mussolinis Absicht, die Antike mit seiner Gegenwart zu verknüpfen. Heute ist das Modelabel Fendi in dem Kubus untergebracht, der immer wieder auch als Kulisse für Werbefilme der Marke genutzt wird. Deren Geschäftsführer Pietro Beccari sieht indes, laut der britischen Tageszeitung The Guardian vom 22. Oktober 2015, keine nennenswerte Verbindung zwischen dem Gebäude und dem faschistischen Regime: »For Italians and for Romans, it is completely deloaded, empty of any significance of that period […]. We never saw it through the lens of fascism«. Auf der Website von LVMH, dem Dachverband Fendis, beschreibt Beccari das »Colosseo quadrato« als »a symbol of our Roman roots and of the continuous dialog between tradition and modernity« (https://www.lvmh.com/news-documents/news/fendi-inaugurates-new-headquarters-in-rome/). Auch der Architekt und Historiker Paolo Portoghesi lehnt die Stigmatisierung von faschistischer Architektur ab. Er warnt davor, zwischen moralisch guter und moralisch schlechter Architektur zu unterscheiden, und hat in einem Interview mit Luca Arcangeli erklärt: »Symbols are innocent; it is ever the case that within us remains the fascism that would be erased. This has nothing to do with the symbols« (Luca Arcangeli: Regarding the Legacy of Fascism. Interview with Paolo Portoghesi, in: The Routledge Companion to Italian Fascist Architecture, Oxford u. New York 2020, S. 70). Damit wird den Symbolen ihre Wirkkraft, ihre Stellvertreterfunktion abgesprochen. Doch stellt sich die Frage, ob ein Symbol, dessen politische Bedeutung noch immer erkannt wird, wirklich unschuldig sein kann. In diesem Diskurs müssen jedoch sowohl die aktuellen Praktiken neofaschistischer Gruppierungen, welche die architektonischen Überreste des Faschismus glorifizieren und zu Pilgerorten machen, bedacht werden, als auch die Reaktionen derjenigen, die durch faschistische Symbole bedroht und degradiert werden. Gerade sie fühlen sich durch die Aussage Portoghesis über die Trennung von Handlung und Person verhöhnt: »Good things are done by evil men« (ibid.).
Ein Ansatz, der zwischen Demontage und unreflektierter Weiternutzung von faschistischen Bauten steht, ist der Kommentar. So prangt beispielsweise am Finanzamt in Bozen ein massives Relief, auf dem Mussolini als römischer Herrscher auf einem Pferd den Arm zum »faschistischen Gruß« erhebt, neben ihm der Schriftzug »credere obbedire combattere« (»glauben, gehorchen, kämpfen«). Seit 2017 setzt ein Zitat der jüdischen Philosophin Hannah Arendt über dieser Darstellung einen kritischen Akzent: »Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen.« Das abgeschlagene Liktorenbündel in Rom ist von ähnlich kommentierendem Charakter. Obwohl hier vermutlich die Vernichtung des Symbols beabsichtigt war, ist doch etwas von ihm übrig geblieben: eine Leerstelle. Dadurch werden der Faschismus und seine Symbole nicht einfach aus dem Blickfeld verbannt und in die Vergessenheit gedrängt; seine Spur hat sich in die Wand eingeschrieben, das Symbol der Macht wurde zum Zeichen der Mahnung umgestaltet.
Jonna Künne
Bilder als Akteure des Politischen / Politische Ikonographie

Vortrag anlässlich des 92. Todestages von Aby Warburg: Charlotte Klonk, Berlin
In der Echokammer der Bilder. Der 6. Januar 2021 und die Krise der Demokratie
Charlotte Klonk, Professorin für Kunst und neue Medien am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin, hielt am 28. Oktober auf Einladung der Aby-Warburg-Stiftung den Vortrag anlässlich des diesjährigen 92. Todestages von Aby Warburg (13.6.1866-26.10.1929): »In…
Aby Warburg / Bilder als Akteure des Politischen / Politische Ikonographie

Vortrag von Uwe Fleckner: Aus dem Tagebuch einer Schnecke. Carl Georg Heises frühe Jahre mit Aby Warburg
Lübeck, Mittwoch, 27. Oktober 2021, 19.00 Uhr, im Rahmen der Vortragsreihe der Overbeck-Gesellschaft und des Kunstgeschichtlichen Seminars der Universität Hamburg
Wir laden Sie herzlich ein zu einem Vortrag von Uwe Fleckner, federführender Direktor des Warburg-Haus 2021 – 2022: Aus dem Tagebuch einer Schnecke. Carl Georg Heises frühe Jahre mit Aby Warburg am Mittwoch, den 27. Oktober 2021, um 19.00 Uhr in den Großen Saal der Gemeinnützigen,…
Aby Warburg / Bilder als Akteure des Politischen

Diskussion mit Ursula Frohne zum Vortrag anlässlich des 91. Todestages von Aby Warburg: »Bilderströme. Vernetzte Bildordnungen im Zeitalter des digitalen Apriori«
Videokonferenz mit Ursula Frohne zum Online-Vortrag
Ursula Frohne, Münster, hielt auf Einladung der Aby-Warburg-Stiftung im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema »Die Künste im technischen Zeitalter II« den Vortrag anlässlich des diesjährigen 91. Todestages von Aby Warburg: »Bilderströme. Vernetzte Bildordnungen im Zeitalter des…
Aby Warburg / Die Künste im technischen Zeitalter II / Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg

Online: Vortrag von Ursula Frohne anlässlich des 91. Todestages von Aby Warburg
Bilderströme. Vernetzte Bildordnungen im Zeitalter des digitalen Apriori
Coronabedingt wird der Vortrag dieses Jahr online zur Verfügung gestellt. Ursula Frohne, Münster, hält auf Einladung der Aby-Warburg-Stiftung im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema »Die Künste im technischen Zeitalter II« den Vortrag anlässlich des diesjährigen 91. Todestages von…
Aby Warburg / Die Künste im technischen Zeitalter II / Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg / Publikationen

Online: Vortrag anlässlich des 90. Todestages von Aby Warburg
Bill Sherman, The Warburg Institute, London: Aby Warburg and the Renaissance of the Library
Anlässlich des 90. Todestages von Aby Warburg lud die Aby-Warburg-Stiftung am Montag, den 25. November 2019 um 19 Uhr zum Vortrag von Bill Sherman, Direktor des Warburg Institute, London: »Aby Warburg and the Renaissance of the Library«. Bill Sherman war Gründungsdirektor des…
Aby Warburg / Die Künste im technischen Zeitalter / Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg / Publikationen

Tag der offenen Tür am Warburg-Haus
Dienstag, 25. Juni 2019, ab 12.00 Uhr, Festvortrag: 19.00 Uhr
Am Dienstag, den 25. Juni 2019 luden die Aby-Warburg-Stiftung und die Universität Hamburg herzlich ein zu einem Tag der offenen Tür am Warburg-Haus aus Anlass des hundertjährigen Jubiläums der Universität Hamburg, bei deren Aufbau nicht nur Aby Warburg und seine Familie maßgeblich mitwirkten,…
Aby Warburg / Bilderfahrzeuge / Die Künste im technischen Zeitalter / Universitätsjubiläum 2019

Stadtspaziergang mit Hermann Hipp
Schöne Bauwerke als Spuren und Manifeste - Fritz Schumacher und Aby Warburg in Eppendorf
Am Donnerstag, den 16. Mai versammelte sich um 15.30 Uhr eine Gruppe von 25 Personen im Warburg-Haus, um sich im Rahmen des Jahresprogramms 2019 »Die Künste im technischen Zeitalter« anlässlich des Universitätsjubiläums gemeinsam mit Prof. Dr. Hermann Hipp auf einen thematischen…
Aby Warburg / Die Künste im technischen Zeitalter / Universitätsjubiläum 2019

Stadtspaziergang mit Karen Michels
Aby Warburg – Im Geiste Florentiner, Hamburger im Herzen!
Am Dienstag, den 16. April versammelte sich um 15.30 Uhr eine Gruppe von 23 Personen vor dem Rathausportal, um sich im Rahmen des Jahresprogramms 2019 »Die Künste im technischen Zeitalter« anlässlich des Universitätsjubiläums gemeinsam mit PD Dr. Karen Michels auf einen thematischen…
Aby Warburg / Die Künste im technischen Zeitalter / Universitätsjubiläum 2019

Führung mit Prof. Martin Warnke und Benjamin Fellmann: Das Warburg-Haus und der Bildindex zur Politischen Ikonographie
In Kooperation mit dem Denkmalverein Hamburg
Am Samstag, den 26. Januar führten Martin Warnke, ehemaliger Leiter des Warburg-Hauses, Herausgeber von Aby Warburgs „Bilderatlas Mnemosyne“ und Benjamin Fellmann, wissenschaftlicher Koordinator des Warburg-Haus, die Besucher durch das Warburg-Haus, seine Bibliotheken und Archive und…
Aby Warburg / Die Künste im technischen Zeitalter / Politische Ikonographie / Universitätsjubiläum 2019

Online: Vortrag des Wissenschaftspreisträgers der Aby-Warburg-Stiftung 2018: Andrea Pinotti, Mailand
Replik der Gewalt, Replik auf die Gewalt
Im Namen der Vorsitzenden der Aby-Warburg-Stiftung Katharina Fegebank, Zweite Bürgermeisterin der Freien und Hansestadt Hamburg, lud das Warburg-Haus am Dienstag, den 4. Dezember 2018 feierlich zum Vortrag des Wissenschaftspreisträgers der Aby-Warburg-Stiftung 2018, Andrea Pinotti. Cornelia…
Aby Warburg / Politische Emotionen / Publikationen / Wissenschaftspreis

Online: Vortrag von Christoph Martin Vogtherr anlässlich des 89. Todestages von Aby Warburg
Zufall als künstlerische Methode. Watteau, Caylus und die Pariser Akademie
Anlässlich des 89. Todestages von Aby Warburg lud die Aby-Warburg-Stiftung am Dienstag, den 30. Oktober 2018 um 19 Uhr ein zum Vortrag von Christoph Martin Vogtherr, Direktor der Hamburger Kunsthalle: »Zufall als künstlerische Methode. Watteau, Caylus und die Pariser Akademie«. Aby Warburg…
Aby Warburg / Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg / Publikationen

Neuerscheinung: Aby Warburg: Bilder aus dem Gebiet der Pueblo-Indianer in Nord-Amerika
Band III.2 der Gesammelten Schriften - Studienausgabe, herausgegeben von Uwe Fleckner
Soeben ist als Band III.2 der Studienausgabe der Gesammelten Schriften Aby Warburgs der von Uwe Fleckner herausgegebene Band »Bilder aus dem Gebiet der Pueblo-Indianer in Nord-Amerika« mit Warburgs Vorträgen und Fotografien erschienen. Der Hamburger Kunst- und Kulturhistoriker Aby Warburg brach…
Aby Warburg / Neuerscheinungen