Tagebuch
Bildkarte des Monats: Juni
Fundstücke aus dem Digitalisierungsprojekt »Bildindex zur Politischen Ikonographie«
Das Ornament der Masse
Bill Grahams Konzertgrafiken und die Agitation der Bilder
Gewiss ließe sich mit den wenigen einschlägigen Dokumenten im Bildindex zur Politischen Ikonographie keine kohärente Geschichte des Konzertplakats illustrieren. In einem der Archivschuber des Sonderbestands großformatiger Bildzeugnisse im Hamburger Index kann man an einer Stelle jedoch einige bemerkenswerte Exemplare dieser populären Gattung der Werbegrafik registrieren. Aufkaschiert auf dünne Kartonträger im Standardformat A4 finden sich ausgerechnet unter dem Stichwort »Agitation / Predigt« (15/20) drei Plakate, auf denen in jeweils unterschiedlicher Typografie derselbe Schriftzug prangt: Die Zeile »Bill Graham presents« ist dort zu lesen, und tatsächlich ist es gerade dieser Name, der unvermeidlich fallen muss, wenn von einigen der legendärsten Konzerte der amerikanischen Rockmusikszene der Nachkriegsjahrzehnte die Rede ist.
Wolfgang Grajoncas, wie Graham bis zu seiner Emigration in die USA hieß, hatte sich im Verlauf der letzten vier Dekaden des 20. Jahrhunderts trotz bewegter Biografie als Konzertveranstalter ein beachtliches Renommee erarbeitet und pflegte einen Lebensstil, der mustergültig das karrieristische Ideal des American Dream verkörperte. Während des Zweiten Weltkriegs im Rahmen der sogenannten »Kindertransporte« von Berlin nach Paris ausgesiedelt, erreichte Grajoncas kurz nach der deutschen Besetzung Frankreichs im Jahr 1940 als kaum zehnjähriges jüdisches Waisenkind schließlich die Ostküste der Vereinigten Staaten. Seit den sechziger Jahren firmierten unter der Ägide jenes Mannes, der sich inzwischen als Rock-Impresario einen weithin gehörten Ruf erworben hatte, mehrere Musiktheater. Seit 1965 betrieb Graham etwa das Fillmore Auditorium und den Winterland Ballroom in San Francisco, die gerade während der konsumkritischen Hippie-Ära zu kommerziell ertragreichen Arenen wurden, in denen die größten Rockbands der damaligen Musikszene, beispielsweise Grateful Dead oder Jefferson Airplane, auftraten. Graham beauftragte Künstler wie Rick Griffin oder Wes Wilson zur Konzeption von Plakaten, die mit ihren scheinbar fließenden, an das ästhetische Erbe des Art Nouveau angelehnten Typografien und einem grellen, auf Komplementärkontrasten basierenden Farbspektrum genauso laut, dynamisch und psychedelisch erschienen, wie es die ästhetischen Eindrücke der Musikveranstaltungen waren, für die sie warben. Dem subkulturellen Lebensgefühl der amerikanischen Love-and-Peace-Bewegung verliehen die Entwürfe, deren Auflagenhöhe im Lauf der Jahre und mit wachsender Popularität der Veranstaltungen von anfangs dreihundert auf später fünftausend Exemplare gesteigert wurde, nicht nur ein grafisches Antlitz, sondern bedienten, weit über die Grenzen der Veranstaltungsorte hinaus, einen Memorabilia-Markt, auf dem die Druckerzeugnisse als Sammelobjekte gehandelt wurden (vgl. The American Psychedelic Poster Art of the Sixties (hrsg. von Uwe Hußlein u. Gerda Wendermann), Ausstellungskatalog, Stadthaus-Galerie, Münster 1988, S.4).
Neben zwei psychedelischen Original-Handzetteln mit Entwürfen der Künstler Griffin und Wilson befindet sich in dem überschaubaren Konvolut unter einem der zentralen Stichworte der politischen Ikonografie ein motivisch bemerkenswertes Beispiel der populären Plakatkunst der Ära Graham. Es ist die farbxerografische Reproduktion eines Veranstaltungsposters, das jenes Konzert bewirbt, das den letzten Live-Auftritt von Led Zeppelin in den USA dokumentiert, bevor sich die Musikgruppe 1980 auflöste. Die vierköpfige Band spielte im Rahmen einer mehrmonatigen Nordamerikatour am 23. und 24. Juli 1977 im Oakland Stadium (auch als Oakland Coliseum bekannt) vor zehntausenden Fans. Der Plakatentwurf zu jener Show entstand, wie sich rechts unten lesen lässt, aus einer Kollaboration der kalifornischen Grafikdesigner Randy Tuten und William »Daddy Bread« Bostedt und zeigt, gleichsam als symbolische Evokation des Bandnamens, ein monumentales Luftschiff mit charakteristischem ovalen Umriss, das unterhalb des Schriftzuges »Led Zeppelin« das Zentrum des Entwurfs beherrscht.
Die im doppelten Wortsinn elliptische Darstellung des Flugschiffs, das ohne Steuerung und Passagierkabine auskommen muss, schwebt vor einem rötlich leuchtenden Himmelskörper, dessen marmorierte Oberflächenstruktur an das ikonische Fotoporträt des Planeten Erde erinnert, das als Blue Marble in die Geschichtsbücher einging, nachdem es 1972, fünf Jahre vor Erscheinen des Posters, von den Astronauten der Apollo 17 aufgenommen und durch die NASA publiziert wurde. Vor dem schwarz grundierten, mit Sternen besäten Hintergrund ähnelt die ädrige Struktur der Oberfläche des roten Gestirns aber auch den ophtalmoskopischen Aufnahmen der menschlichen Retina, wie sie erstmals um die vorletzte Jahrhundertwende entstanden. Zu den Elementen, die die apokalyptische Düsterkeit der Darstellung unterstreichen, gehört nicht nur das in perspektivischer Verkürzung dargestellte Luftschiff, von dem geheimnisvolle Lichtstrahlen ausgehen, sondern auch eine in die Bildtiefe fluchtende Kulisse: Beinahe wie nach Maschinenplänen konstruiert ist hier ein technoides Ensemble dargestellt, dessen Oberfläche die materielle Beschaffenheit von Stahl oder Beton zu imitieren scheint. Ungezählte mikroskopisch kleine anthropomorphe Figuren bevölkern diese futuristische Architektur, die im Zusammenspiel mit den anderen Bildkomponenten eine surreale Stimmung heraufbeschwört, wie sie für die Literatur und den Film der Science-Fiction charakteristisch ist.
Weshalb aber befindet sich dieses Plakat im Bildindex zur Politischen Ikonographie unter dem Lemma »Agitation / Predigt«? Mit den dort versammelten Motiven politischer beziehungsweise religiöser Agitation verbinden das Led-Zeppelin-Plakat drei inhaltliche und gattungstheoretische Aspekte: Erstens ist das Motiv des Zeppelins ein ideologisch aufgeladenes Bildsymbol, das während des Ersten Weltkriegs in den Massenmedien und auch auf Propagandaplakaten verbreitet wurde (vgl. Peter Paret et al.: Persuasive Images. Posters of War and Revolution, Princeton 1992, S. 6). Zweitens ist das Plakat eines der Distributionsmedien, die Warburg als Nachfolger gewebter Bildteppiche charakterisierte, als Nachfolger jener »wenn auch noch recht kostbaren, textilen Fahrzeuge«, die ihrem »ursprünglichen Charakter nach demokratischere Züge« besaßen (Aby Warburg: Arbeitende Bauern auf burgundischen Teppichen, in: id.: Die Erneuerung der heidnischen Antike. Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Geschichte der europäischen Renaissance (hrsg. v. Horst Bredekamp u. Michael Diers), Berlin 1998, S. 221–229, S. 223). Und drittens richtet sich das Plakat ebenso wie die agitatorische Grafik an ein Massenpublikum, wobei deren Kommunikation einmal auf politische, einmal auf kommerzielle Ziele gerichtet ist. Auf dem Led-Zeppelin-Plakat sind diese Aspekte gestalterisch miteinander verbunden: Es fordert seine Betrachter zur Teilnahme an einer Massenveranstaltung auf, ohne dass bildrhetorisch unterschieden wäre, ob die ameisenhaft dargestellte Menschenmenge zu einem Rockkonzert strömt oder zu einem der Aufmärsche, mit denen autoritäre Regime die Menschen zu einer schicksalhaft verbundenen Gemeinschaft zu formen versuchen (vgl. Siegfried Kracauer: Das Ornament der Masse [1927], in: id.: Das Ornament der Masse. Essays, Frankfurt am Main 1977, S. 50–63).
Gerade »die mobilisierende Wirkkraft der Agitation« stand, so Martin Warnke, am Beginn der ikonologischen Betrachtungen Aby Warburgs, der seine Beschäftigung mit der Bildpropaganda »unmittelbar in ein historisches Forschungsprogramm« überführt habe (Martin Warnke: Bildindex zur Politischen Ikonographie, Hamburg 1996, S. 11). Was Warburg an den Flugblättern der Reformationszeit faszinierte (vgl. Aby Warburg: Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten, Heidelberg 1920), fasziniert uns noch heute, wenn wir das Nachleben solcher Bildformeln in den Druckerzeugnissen der Popkultur entdecken.
Elif Akyüz
Bilder als Akteure des Politischen II / Politische Ikonographie
Ab 4. März: Aby Warburg und die Pueblo-Kunst. Ausstellung im MARKK Hamburg
»Blitzsymbol und Schlangentanz«: Das Museum am Rothenbaum zeigt zum ersten Mal alle erhalten gebliebenen Werke aus Aby Warburgs Sammlung von Kunst-, Zeremonial- und Alltagsgegenständen der Pueblo-Gesellschaften
Blitzsymbol und Schlangentanz Aby Warburg und die Pueblo-Kunst Ausstellung im MARKK Hamburg – Museum am Rothenbaum Kulturen und Künste der Welt, 4. März 2022 – 8. Januar 2023 . Aby Warburg (1866 – 1929) ist weltweit bekannt als Begründer der modernen kulturwissenschaftlich orientierten…
Aby Warburg / Neuerscheinungen
Neuerscheinung: Aby Warburg: Briefe
Band V der Gesammelten Schriften - Studienausgabe, herausgegeben von Michael Diers und Steffen Haug in Zusammenarbeit mit Thomas Helbig
Im Dezember erscheint als Band V der Studienausgabe der Gesammelten Schriften Aby Warburgs der von Michael Diers und Steffen Haug in Zusammenarbeit mit Thomas Helbig herausgegebene Band der »Briefe« mit einer umfassenden kommentierten Auswahl der Korrespondenz Warburgs. Briefe gehörten für…
Aby Warburg / Neuerscheinungen
Vortrag anlässlich des 92. Todestages von Aby Warburg: Charlotte Klonk, Berlin
In der Echokammer der Bilder. Der 6. Januar 2021 und die Krise der Demokratie
Charlotte Klonk, Professorin für Kunst und neue Medien am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin, hielt am 28. Oktober auf Einladung der Aby-Warburg-Stiftung den Vortrag anlässlich des diesjährigen 92. Todestages von Aby Warburg (13.6.1866-26.10.1929): »In…
Aby Warburg / Bilder als Akteure des Politischen / Politische Ikonographie
Vortrag von Uwe Fleckner: Aus dem Tagebuch einer Schnecke. Carl Georg Heises frühe Jahre mit Aby Warburg
Lübeck, Mittwoch, 27. Oktober 2021, 19.00 Uhr, im Rahmen der Vortragsreihe der Overbeck-Gesellschaft und des Kunstgeschichtlichen Seminars der Universität Hamburg
Wir laden Sie herzlich ein zu einem Vortrag von Uwe Fleckner, federführender Direktor des Warburg-Haus 2021 – 2022: Aus dem Tagebuch einer Schnecke. Carl Georg Heises frühe Jahre mit Aby Warburg am Mittwoch, den 27. Oktober 2021, um 19.00 Uhr in den Großen Saal der Gemeinnützigen,…
Aby Warburg / Bilder als Akteure des Politischen
Diskussion mit Ursula Frohne zum Vortrag anlässlich des 91. Todestages von Aby Warburg: »Bilderströme. Vernetzte Bildordnungen im Zeitalter des digitalen Apriori«
Videokonferenz mit Ursula Frohne zum Online-Vortrag
Ursula Frohne, Münster, hielt auf Einladung der Aby-Warburg-Stiftung im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema »Die Künste im technischen Zeitalter II« den Vortrag anlässlich des diesjährigen 91. Todestages von Aby Warburg: »Bilderströme. Vernetzte Bildordnungen im Zeitalter des…
Aby Warburg / Die Künste im technischen Zeitalter II / Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg
Online: Vortrag von Ursula Frohne anlässlich des 91. Todestages von Aby Warburg
Bilderströme. Vernetzte Bildordnungen im Zeitalter des digitalen Apriori
Coronabedingt wird der Vortrag dieses Jahr online zur Verfügung gestellt. Ursula Frohne, Münster, hält auf Einladung der Aby-Warburg-Stiftung im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema »Die Künste im technischen Zeitalter II« den Vortrag anlässlich des diesjährigen 91. Todestages von…
Aby Warburg / Die Künste im technischen Zeitalter II / Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg / Publikationen
Online: Vortrag anlässlich des 90. Todestages von Aby Warburg
Bill Sherman, The Warburg Institute, London: Aby Warburg and the Renaissance of the Library
Anlässlich des 90. Todestages von Aby Warburg lud die Aby-Warburg-Stiftung am Montag, den 25. November 2019 um 19 Uhr zum Vortrag von Bill Sherman, Direktor des Warburg Institute, London: »Aby Warburg and the Renaissance of the Library«. Bill Sherman war Gründungsdirektor des…
Aby Warburg / Die Künste im technischen Zeitalter / Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg / Publikationen
Tag der offenen Tür am Warburg-Haus
Dienstag, 25. Juni 2019, ab 12.00 Uhr, Festvortrag: 19.00 Uhr
Am Dienstag, den 25. Juni 2019 luden die Aby-Warburg-Stiftung und die Universität Hamburg herzlich ein zu einem Tag der offenen Tür am Warburg-Haus aus Anlass des hundertjährigen Jubiläums der Universität Hamburg, bei deren Aufbau nicht nur Aby Warburg und seine Familie maßgeblich mitwirkten,…
Aby Warburg / Bilderfahrzeuge / Die Künste im technischen Zeitalter / Universitätsjubiläum 2019
Stadtspaziergang mit Hermann Hipp
Schöne Bauwerke als Spuren und Manifeste - Fritz Schumacher und Aby Warburg in Eppendorf
Am Donnerstag, den 16. Mai versammelte sich um 15.30 Uhr eine Gruppe von 25 Personen im Warburg-Haus, um sich im Rahmen des Jahresprogramms 2019 »Die Künste im technischen Zeitalter« anlässlich des Universitätsjubiläums gemeinsam mit Prof. Dr. Hermann Hipp auf einen thematischen…
Aby Warburg / Die Künste im technischen Zeitalter / Universitätsjubiläum 2019
Stadtspaziergang mit Karen Michels
Aby Warburg – Im Geiste Florentiner, Hamburger im Herzen!
Am Dienstag, den 16. April versammelte sich um 15.30 Uhr eine Gruppe von 23 Personen vor dem Rathausportal, um sich im Rahmen des Jahresprogramms 2019 »Die Künste im technischen Zeitalter« anlässlich des Universitätsjubiläums gemeinsam mit PD Dr. Karen Michels auf einen thematischen…
Aby Warburg / Die Künste im technischen Zeitalter / Universitätsjubiläum 2019
Führung mit Prof. Martin Warnke und Benjamin Fellmann: Das Warburg-Haus und der Bildindex zur Politischen Ikonographie
In Kooperation mit dem Denkmalverein Hamburg
Am Samstag, den 26. Januar führten Martin Warnke, ehemaliger Leiter des Warburg-Hauses, Herausgeber von Aby Warburgs „Bilderatlas Mnemosyne“ und Benjamin Fellmann, wissenschaftlicher Koordinator des Warburg-Haus, die Besucher durch das Warburg-Haus, seine Bibliotheken und Archive und…
Aby Warburg / Die Künste im technischen Zeitalter / Politische Ikonographie / Universitätsjubiläum 2019
Online: Vortrag des Wissenschaftspreisträgers der Aby-Warburg-Stiftung 2018: Andrea Pinotti, Mailand
Replik der Gewalt, Replik auf die Gewalt
Im Namen der Vorsitzenden der Aby-Warburg-Stiftung Katharina Fegebank, Zweite Bürgermeisterin der Freien und Hansestadt Hamburg, lud das Warburg-Haus am Dienstag, den 4. Dezember 2018 feierlich zum Vortrag des Wissenschaftspreisträgers der Aby-Warburg-Stiftung 2018, Andrea Pinotti. Cornelia…
Aby Warburg / Politische Emotionen / Publikationen / Wissenschaftspreis
Online: Vortrag von Christoph Martin Vogtherr anlässlich des 89. Todestages von Aby Warburg
Zufall als künstlerische Methode. Watteau, Caylus und die Pariser Akademie
Anlässlich des 89. Todestages von Aby Warburg lud die Aby-Warburg-Stiftung am Dienstag, den 30. Oktober 2018 um 19 Uhr ein zum Vortrag von Christoph Martin Vogtherr, Direktor der Hamburger Kunsthalle: »Zufall als künstlerische Methode. Watteau, Caylus und die Pariser Akademie«. Aby Warburg…
Aby Warburg / Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg / Publikationen
Neuerscheinung: Aby Warburg: Bilder aus dem Gebiet der Pueblo-Indianer in Nord-Amerika
Band III.2 der Gesammelten Schriften - Studienausgabe, herausgegeben von Uwe Fleckner
Soeben ist als Band III.2 der Studienausgabe der Gesammelten Schriften Aby Warburgs der von Uwe Fleckner herausgegebene Band »Bilder aus dem Gebiet der Pueblo-Indianer in Nord-Amerika« mit Warburgs Vorträgen und Fotografien erschienen. Der Hamburger Kunst- und Kulturhistoriker Aby Warburg brach…
Aby Warburg / Neuerscheinungen