Journal
Bildkarte des Monats: Oktober
Fundstücke aus dem Digitalisierungsprojekt »Bildindex zur Politischen Ikonographie«
»Es fehlt an Geld. Nun gut so schaff’ es denn!«
Ökonomische Aspekte der politischen Ikonografie in Dornburger Notgeldscheinen
»Früh wenn Tal, Gebirg und Garten / Nebelschleiern sich enthüllen, / Und dem sehnlichsten Erwarten / Blumenkelche bunt sich füllen«, so beginnt Johann Wolfgang von Goethes Gedicht Dornburg, das er 1828 während seines zweiten Aufenthalts in dem kleinen Städtchen an der Saale verfasste. Bereits 1782 entdeckte er Dornburg für sich und kehrte im Alter noch einmal für einen längeren Aufenthalt dorthin zurück. Der Dichter lebte von Juli bis September in einem der drei Schlösser, dem hoch oben über dem Tal thronenden Renaissance-Schloss, und verfasste dort seine zwei Dornburger Gedichte.
Die Erinnerung an einen der größten deutschen Dichter nahm der Jenaer Künstler Georg Kötschau (1889-1976) zum Anlass, um für die Stadt Dornburg eine Serie von Notgeldscheinen zu gestalten. Sie wurden zum 1. September 1921 ausgegeben und waren nur für drei Monate gültig. Kötschau wurde mit 15 Jahren zum Lithografen ausgebildet und war als technischer Zeichner im Dienste großer Unternehmen wie Carl Zeiss in Jena tätig. Aufgrund seiner Kinderlähmung wurde er im Ersten Weltkrieg nicht eingezogen und war als Illustrator von Notgeldscheinen gefragt. Er gestaltete Scheine für Gemeinden und Städte überwiegend in Thüringen, beispielsweise für Lobeda, Saalfeld und Dornburg. Sein Stil spiegelt die frühere Tätigkeit als technischer Zeichner in klaren Linienführungen und Perspektiven wieder. Mit ihrer intensiven Farbgestaltung und ihrem Licht- und Schattenspiel lässt Kötschaus Gestaltung zentrale Motive von Goethes Dornburg-Gedicht anklingen, in dem das wechselnde Licht- und Farbspiel des Morgenhimmels über dem Saaletal beschrieben wird.
Die Vorderseite des Notgeldscheins zeigt den jungen Goethe mit einem Buch in der Hand lesend an der Schlossmauer mit Blick auf das Tal. Im Hintergrund ragt das Schloss ins Bild. Die Rückseite zeigt eine Ansicht des ältesten der drei Dornburger Schlösser. Die Überschrift in der Abbildung gibt preis, dass es sich hier um den Zustand des Bauwerks von 1600 handelt. Es wird flankiert vom Stadtwappen auf der linken Seite und dem Wappen des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach, zu dem Dornburg bis 1918 gehörte. Erst seit 1945 gehört die Stadt zum neugegründeten Freistaat Thüringen.
Dieser Notgeldschein (Nr. 304) ist Teil eines Sonderbestands, der ebenso wie die Bildkarten zum Bildindex zur Politischen Ikonographie zählt. Die von Martin Warnke in den 1990er Jahren erworbenen Notgeld-Alben umfassen eine Sammlung von über 450 Scheinen aus den Jahren 1918 bis 1923. Notgeld diente in Krisenzeiten als Ersatz für mangelnde staatliche Zahlungsmittel. Bereits 1914, also kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs, wurde Münzkleingeld als kriegswichtiges Material für die Rüstungsproduktion eingezogen. Daraufhin wurde noch im selben Jahr als Ersatz provisorisches Notgeld in Form von Papierscheinen mit zunächst kleinen Pfennigbeträgen produziert. Deutschlands Niederlage im Ersten Weltkrieg verschärfte die Situation weiter. Der Staat hatte aufgrund von Kriegsfolgelasten sowie zurückzuzahlender Kriegsanleihen hohe Schulden angehäuft. Hinzu kam das Eingeständnis der Kriegsschuld Deutschlands durch den Versailler Vertrag, wodurch Entschädigungsleistungen (»Reparationen«) an die alliierten Siegermächte entrichtet werden mussten. Folglich erlaubte die Reichsbank allen deutschen Städten und Gemeinden den Druck von Notgeldscheinen mit Beträgen bis zu 100 Mark. Nach Kriegsende konnte dann mehr Zeit und Sorgfalt in die Produktion und Ausgestaltung von Notgeldscheinen investiert werden.
Als Folge entwickelte sich sehr schnell ein Sammlermarkt. Das Geld wurde selbst zur Handelsware, da die gesammelten Scheine für ihre nominellen Werte als Zahlungsmittel oft nicht eingelöst wurden. Die kleinen Druckerzeugnisse, »Bilderfahrzeuge« im Sinne Aby Warburgs, wurden mit repräsentativen, oft stadthistorischen Motiven versehen, die in einem politischen oder auch kulturellen Zusammenhang mit ihrem jeweiligen Gültigkeitsbereich standen. Somit konnte ein solcher Schein zu einem Zeugnis, aber auch zur Werbung für die eigene lokale Identität und zur Selbstdarstellung werden. Zusätzlich bot sich den Städten damit eine Möglichkeit, sich untereinander zu messen und gegenseitig zu übertreffen. Zu diesem Zweck beauftragten sie zum Teil namhafte Künstler mit der Gestaltung der Notgeldscheine. Neben einfachem Druck mit schwarzer Farbe auf buntem Papier gab es auch künstlerisch anspruchsvolle Grafiken wie die kolorierten Drucke von Georg Kötschau für die Stadt Dornburg.
Im Jahr 1923 spitzte sich die Situation im Westen Deutschlands mit dem sogenannten Ruhrkampf zu. Wurden zunächst, wie auf den Goethe-Scheinen zu sehen, noch Pfennigbeträge aufgedruckt, so mussten zu dieser Zeit die Gemeinde und Städte aufgrund der raschen Entwertung der Zahlungsmittel und das fortlaufende Drucken von Scheinen (»Hyperinflation«) die nominalen Werte bis in die Billionen erhöhen. Gleichzeitig wurde die künstlerische Gestaltung unter anderem aus finanziellen Gründen sowie aus Rohstoffmangel zunehmend vernachlässigt, und Mehrfarbdrucke wie bei den Dornburger Scheinen war bald kaum noch möglich. Kötschau gestaltete eine ganze Reihe an 50-Pfennig-Scheinen, die Goethes Aufenthalt in dem Städtchen idyllisch in Szene setzten. Andere Exemplare dieser Notgeldserie zeigen ihn mit Frau und Kind vor dem Alten Schloss sowie den in die Jahre gekommenen Dichterfürsten mit Lorbeerkranz vor dem Renaissance-Schloss. Die Rückseiten hingegen sind einheitlich gestaltet. Solche thematischen Reihen traten bei Notgeld nicht selten auf und befeuerten das Interesse der Sammler, da es nicht nur einen 50-Pfennig-Schein zu erwerben galt, sondern gleich vier unterschiedliche Scheine, um einen vollständigen Satz zu besitzen.
Im historischen Kontext betrachtet besaßen Notgeldscheine mehrere Funktionen. Neben dem bereits erwähnten Nutzen als Zahlungsmittel, Repräsentationsobjekt und Handelsware erfüllten die kleinen Drucke mit den auf ihnen dargestellten Motiven auch einen psychologischen Zweck. Dem Leid und Chaos des Krieges und der Jahre danach wurden farbige Bilder und an bessere Zeiten erinnernde Themen entgegengesetzt, die vermutlich den Menschen wortwörtlich Farbe in das triste Dasein bringen sollten. Die schönen Landschaften und Stadtansichten, historische Bauwerke und Persönlichkeiten wie die Dichter und Denker der deutschen Geschichte sollten trotz des verlorenen Krieges an regionale und nationale Werte erinnern und auf diese Weise die eigene Identität stärken. Gleichzeitig könnten solche Darstellungen auf die Bevölkerung tröstlich gewirkt haben, da sie idyllische und friedvolle Augenblicke abbilden, in denen man sich selbst beim Betrachten verlieren und der Alltagsrealität für kurze Zeit entkommen konnte.
Für Goethe-Kenner bildete der Dichter allerdings noch aus einem anderen Grund ein sinnfälliges Motiv auf diesen Geldscheinen. In seinem Faust. Der Tragödie zweiter Teil spielt der erste Akt im Thronsaal des Kaisers, der von seinen hohen Beamten erfährt, dass das Geld im Reich ausgeht. Mephisto, bekannt aus dem ersten Teil des Dramas, schlüpft in die Rolle des Hofnarren und rät dazu, sich aus den finanziellen Nöten durch den Druck von Papiergeld zu retten, so dass der Kaiser schließlich befiehlt: »Es fehlt an Geld. Nun gut so schaff’ es denn!« Wie das Notgeld der Inflationszeit, das im Bildindex zur Politischen Ikonographie ökonomische Aspekte in die kunsthistorische Bildersammlung trägt, gemahnt auch Mephistos Papiergeld an manches Spekulationsgeschäft mit »Schein«-Werten, das auch in unserer heutigen Zeit oft genug ohne reale Gegenwerte sein kapitalistisches Unwesen treibt.
Louisa Giehler
Bilder als Akteure des Politischen / Politische Ikonographie
Online: Vortrag von Elisabeth Bronfen
Hermiones Rückkehr - Das Nachleben einer Pathosgeste
Vortrag der Trägerin des Wissenschaftspreises der Aby-Warburg-Stiftung 2017 Elisabeth Bronfen, Ordinaria am Englischen Seminar der Universität Zürich und Global Distinguished Professor an der New York University, anlässlich der Verleihung der Martin Warnke-Medaille am 19.12.2017 im Warburg-Haus…
Latenz in den Künsten / Martin Warnke-Medaille / Publikationen / Wissenschaftspreis
Buchvorstellung: Stimmungs-Atlas »B wie Blickfänger«, ein Buch über das Bild »Betty« von Gerhard Richter
Podiumsdiskussion der Autoren Insa Härtel und Karl-Josef Pazzini mit Nora Sdun (Textem Verlag) und Benjamin Fellmann (Warburg-Haus)
Am Montag, den 18. Dezember 2017 fand als Kooperationsveranstaltung des Warburg-Hauses mit dem Hamburger Textem-Verlag im Rahmen des Jahresschwerpunktes “Latenz in den Künsten” die Vorstellung des Buches Stimmungs-Atlas »B wie Blickfänger« statt. Von 20.00 Uhr bis 21.30 Uhr…
Latenz in den Künsten
Verleihung der Martin Warnke-Medaille an Elisabeth Bronfen
Anschließender Vortrag der Preisträgerin: "Hermiones Rückkehr - Das Nachleben einer Pathosgeste"
Prof. Dr. Elisabeth Bronfen wurde am Dienstag, den 19. Dezember 2017, 19 Uhr, im Warburg-Haus feierlich die Martin Warnke-Medaille verliehen. Sie ist Ordinaria am Englischen Seminar der Universität Zürich und seit 2007 zugleich Global Distinguished Professor an der New York University. Ihre…
Latenz in den Künsten / Martin Warnke-Medaille / Wissenschaftspreis
Online: Vortrag von Anselm Haverkamp
Saussure, der Text, die Bilder
Vortrag von Anselm Haverkamp, Professor of English Emeritus der New York University, New York, Professor Emeritus der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder und Honorarprofessor am Lehrstuhl für Philosophie I der Ludwig-Maximilians-Universität München, am 21.11.2017 im Rahmen der…
Latenz in den Künsten / Publikationen
Seminar »Latenzen im Museum – Bilder im Depot und Bilder als Depot« in der Hamburger Kunsthalle
Eine Kooperation im Rahmen des Schwerpunktthemas "Latenz in den Künsten"
Mit Sandra Pisot, Leitung Sammlung Alte Meister, Hamburger Kunsthalle, Benjamin Fellmann, Warburg‐Haus, Elena Tolstichin, Warburg‐Haus / Forschungsprojekt Bilderfahrzeuge, im Depot Alte Meister und den Reformationskabinetten. Eine Kooperationsveranstaltung der Hamburger Kunsthalle und des…
Latenz in den Künsten
Online: Vortrag von Martin von Koppenfels
›Dream on, dream on, of bloody deeds and death‹: Alptraum und Geschichte in Shakespeares ›Richard III‹
Vortrag von Martin von Koppenfels, Professor am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München, am 24.10.2017 im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema Latenz in den Künsten im Warburg-Haus. Die Aufzeichnung erfolgte durch das…
Latenz in den Künsten / Publikationen
Online: Vortrag von Christopher Wood
3 Frauen
Vortrag von Christopher Wood, Professor und Chair des Department of German der New York University, am 4.7.2017 im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema Latenz in den Künsten im Warburg-Haus. Die Aufzeichnung erfolgte durch das Team des eLearning-Büros der Fakultät für…
Latenz in den Künsten / Publikationen
Die Künste als Archive eines Ausgleichswissens
Cornelia Zumbusch zum Nachdenken über Gleichgewicht im Warburg-Haus anlässlich der Tagung Latente Spannungen - Figuren des Äquilibriums
Das Deckenlicht im Lesesaal der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg ist nicht rund, sondern oval. Durch diese Glaskonstruktion wird der elliptische Raum augenfällig. Die Ellipse war für Warburg als Denkfigur zentral, und das aus mehreren Gründen. In Warburgs Forschungen zur Geschichte…
Latenz in den Künsten
Das Äquilibrium als Modell und mögliche Daseinsmetapher
Eckart Goebel zum interdisziplinären Forschungsfeld anlässlich der Tagung Latente Spannungen - Figuren des Äquilibriums
Unterschiedliche Modelle des Ausgleichens und Balancierens, aber auch die Artikulation einer tiefsitzenden Angst vor dem Verlust des Gleichgewichts von der Antike bis in die Gegenwart zählen zu den Basiselementen kultureller Erfahrung und deren Reflexion. Das alte, von der thebanischen Sphinx dem…
Latenz in den Künsten
Thementag Warten/Latenz in der Hamburger Kunsthalle und im Warburg-Haus
Dialogführung und Vorträge im Rahmen des Schwerpunktthemas "Latenz in den Künsten"
Eine Kooperation mit der Hamburger Kunsthalle zur Ausstellung »Warten. Zwischen Macht und Möglichkeit« WARTEN / LATENZ: Die Veränderung unserer Lebenswelten schreitet mit hohem Tempo voran. Das aktuelle Schwerpunktthema des Warburg-Hauses fragt danach, was mit Vergangenem passiert. Warburgs…
Latenz in den Künsten
Online: Vortrag von Niklaus Largier, Berkeley
Latente Beziehungen: Figur, Plastizität und ›Nachleben‹ bei Warburg und Auerbach
Eine Veranstaltung im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema Latenz in den Künsten, 22.5.2017. Die Aufzeichnung erfolgte durch das Team des eLearning-Büros der Fakultät für Geisteswissenschaften und steht auf der UHH-eigenen Plattform Lecture2Go bereit.…
Latenz in den Künsten / Publikationen
Online: Vortrag von Cornelia Wild, München
Flüchtige Form. Passantinnen bei Baudelaire, Freud und Warburg
Eine Veranstaltung im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema Latenz in den Künsten, 25.4.2017. Die Aufzeichnung erfolgte durch das Team des eLearning-Büros der Fakultät für Geisteswissenschaften und steht auf der UHH-eigenen Plattform Lecture2Go bereit.…
Latenz in den Künsten / Publikationen
Künstlergespräch mit Ursula Schulz-Dornburg
Im Rahmen des Schwerpunktthemas "Latenz in den Künsten"
Eine Kooperation mit der Hamburger Kunsthalle zur Ausstellung “Warten. Zwischen Macht und Möglichkeit” Das was war und das was kommt, verdichtet sich im Nicht-Ort, im Bild des Wartens an der Haltestelle. Latent und doch spürbar, ruhig und klar, surreal und beunruhigend. Ein Gespräch…
Latenz in den Künsten
Latency in the Arts
Focus Topic 2017
Our modern lifeworlds or lived realities change at breakneck speed – and yet things that seem outmoded, the things we believe to have discarded, do not just disappear from the world. So what happens to the things that were there before? How does something fall into oblivion, then continue to…
Latenz in den Künsten