Journal
Bildkarte des Monats: April
Fundstücke aus dem Digitalisierungsprojekt »Bildindex zur Politischen Ikonographie«
Askese und Repräsentation
Die Stifterfigur Herzog Philipp des Kühnen in der Kartause von Champmol
Einen der großen thematischen Schwerpunkte im Bildindex zur Politischen Ikonographie bildet die Kategorie der Herrscherbildnisse. Seit jeher war und ist die weltliche mit der geistlichen Macht eng verwoben. Genauso alt ist die Tatsache, dass Herrscher und religiöse Würdenträger sich der Kunst bedienten, um sie für ihre politischen Interessen zu instrumentalisieren. Wie eng dieses Gefüge ist, zeigt sich in der Unterkategorie zum Herrscherbild »Im sakralen Zusammenhang« (225/180). Auch die hier ausgewählte Bildkarte des Monats findet sich dort, eingeordnet in den Abschnitt zum »14. Jahrhundert«. Sie reproduziert skulpturale Bestandteile eines gotischen Kirchenportals in Frankreich, genauer in Burgund. Ihre Aufschrift gibt bereits erste Informationen preis, sie nennt den Künstler und die von ihm dargestellten Figuren, auch bezeichnet sie das Entstehungsdatum sowie den Ort, an dem die Werke ausgeführt wurden: Die Abbildung zeigt die von dem niederländischen Bildhauer Claus Sluter und seiner Werkstatt 1391 bis 1397 im Portal der Kartause von Champmol angefertigten Skulpturen Johannes des Täufers und Herzog Philipp des Kühnen.
Auf den ersten Blick scheint das sakrale Skulpturenprogramm lediglich die Hoffnung auf die Auferstehung der Seele auszudrücken. Die stehende Figur stellt einen alten Mann mit Bart dar, der vollständig in ein weites, bodenlanges und faltenreiches Gewand eingehüllt ist. Auf seinem rechten Arm trägt er ein Lamm, dessen Kopf verloren gegangen ist. Die Figur ist zur (nicht sichtbaren) Portalmitte nach rechts gewandt. Ihr zur Seite ist eine weitere Figur in betender Haltung angebracht, die sich ebenfalls zur Mitte des Portals wendet. Sie stellt einen Mann in weitem Mantel mit ausladendem Kragen dar, was der Mode der Herzöge um 1400 entsprach. Die beiden lebensgroßen Skulpturen sind auf zwei Konsolen positioniert, die von kleineren Figuren gehalten werden, wobei die stark zerstörte Figur unter dem jüngeren Mann zusätzlich ein Wappenschild getragen hat. Wie bereits die Beschriftung auf der Karte verrät, handelt es sich bei der linken Skulptur um eine Darstellung Johannes des Täufers, identifizierbar anhand des Lamms, und rechts um Philipp II., mit dem Beinamen der Kühne (1342–1404). Er war der jüngste Sohn des französischen Königs Johann des Guten und Bruder des späteren Königs Karl V. von Frankreich aus dem Hause Valois. 1363 sprach ihm sein Vater das Herzogtum Burgund zu und hob ihn damit in den Stand des ranghöchsten Pair von Frankreich, einem Titel der dem Hochadel vorbehalten war und nur vom König selbst verliehen werden konnte. Durch die Heirat mit Margarete von Flandern (1350–1405) vergrößerten sich Philipps territorialen Besitztümer um weitere Grafschaften im Süden und Norden Frankreichs.
Wenn man sich nun diese Figuren im Kontext des gesamten Skulpturenprogramms des Kirchenportals und seiner Entstehungsgeschichte ansieht, ergibt sich ein vielschichtiges und politisch ambitioniertes Gesamtbild. Neben der gedächtnisstiftenden Funktion offenbart das Portal auch seine machtpolitische Funktion für die Dynastie der Herzöge von Burgund. Die Skulpturen gehören zum Westportal, das in die Klosterkirche des Kartäuserordens von Champmol in Dijon führt. Die Kartause wurde von Philipp dem Kühnen und seinem Haus Valois gestiftet, um eine herzogliche Grablege für sich und seine Nachkommen, den künftigen Herrschern von Burgund zu besitzen. Philipp II. folgten drei weitere Valois-Herzöge, die in der Kartause beigesetzt worden sind. Als Sohn und Bruder französischer Könige und ranghöchstem Pair Frankreichs drückt er mit der Stiftung seine Macht aus. Die Grundsteinlegung der Kartause erfolgte am 20. August 1383, und damit am Tag des Heiligen Bernhard von Clairvaux, dem Schutzheiligen von Burgund. Der Bau des Kirchenportals begann unter der Leitung des Bildhauers Jean de Marville, der allerdings bereits im Jahr 1389 verstarb. Sein Nachfolger Claus Sluter übernahm die herzogliche Bildhauerwerkstatt und änderte nach Absprache mit Philipp II. den Entwurf zu der noch heute erhaltenen Form ab. Das Skulpturenprogramm wurde durch zwei Heilige erweitert, die jeweils hinter den Stiftern positioniert sind. Zudem änderte er die Position der Stifter von stehenden zu knienden Figuren in betender Haltung (vgl. Renate Prochno: Die Kartause von Champmol. Grablege der burgundischen Herzöge 1364–1477, Berlin 2002, S. 30).
Die Skulpturen von Johannes dem Täufer und Philipp dem Kühnen bekleiden die linke Seite des doppeltürigen Portals. Auf der gegenüberliegenden Seite ist Margarete von Flandern, die Gemahlin Philipps, ebenfalls kniend und im Gebet vertieft dargestellt. Hinter ihr steht die Heilige Katharina, erkennbar an einem Schwert als Attribut und mit einer Krone auf ihrem Kopf, die nicht mehr erhalten ist. Am Trumeaupfeiler, der die Mitte des Portals bildet, ist eine Madonna mit Kind als Himmelskönigin aufgestellt, in ihrer Funktion als die höchste Gnadenmittlerin beim Jüngsten Gericht. Um vor diesem zu bestehen, sollte die gute Tat der Klosterstiftung sündentilgend für die Stifter wirken. Das fortlaufende Gedenken durch Gebete, die wiederholte Namensnennung der Stifter und das Fürbitte-Halten durch die beschenkten Mönche sollte zusätzlich der Erlangung des persönlichen Seelenheils dienen. Daran wurden die Mönche bei jedem Gang durch das Hauptportal der Klosterkirche erinnert.
Das Kloster von Champmol war Lebensort für Mönche, die gottesfürchtig, asketisch und zurückgezogen ihr Dasein auf das Gebet ausrichteten, und zugleich herzogliche Grablege zur Repräsentation des Hauses Valois, was sich im Bau und in der künstlerischen Ausstattung des Klosters widerspiegelt. Ein Beispiel dafür stellen die Skulpturen der Heiligen dar, in denen sich mehrere Bedeutungsebenen bündeln. Zunächst sind die Heilige Katharina und Johannes der Täufer bedeutungsvoll für die Dynastie der Valois, was sich nicht zuletzt in der Namensgebung der Kinder niederschlug. Der Täufer war nicht nur der Namenspatron von Philipps Sohn, sondern auch von dessen Vater, Johann II. mit dem Beinamen der Gute, König Frankreichs von 1319 bis 1364; außerdem war er der Schutzpatron Burgunds. Die Heilige Katharina wiederum symbolisiert das flandrische Erbe Margaretes. Sie wollte nicht in der Kartause von Champmol beigesetzt werden, sondern neben ihrem Vater in der Grafenkapelle im flandrischen Courtrai, in der Nähe von Lille. Die Schutzherrschaft über diese Kapelle unterlag der Heiligen Katharina, und deren Anwesenheit im Portal der Kartause verweist daher auch auf die Verbindung der beiden Teile von Philipps Herrschaftsgebiet.
Neben der dynastischen Bedeutung nahm Johannes der Täufer eine wichtige Rolle für den Kartäuserorden ein. Für die Ordensmitglieder galt er mit seinem kargen Leben in der Wüste als der erste Eremit, dem die Mönche nacheifern sollten. Die Heilige Katharina ist in der christlichen Ikonografie als Märtyrerin und als eine der Vierzehn Nothelfer bedeutend. Nach der legenda aurea, einer im 13. Jahrhundert kompilierten Sammlung von Heiligenlegenden, wird Katharina zudem von den Menschen in den Stunden vor dem Tod angerufen, um von ihr himmlischen Beistand zu erbitten. Aufgrund dessen galten die Heilige Katharina und Johannes der Täufer als die beiden bevorzugten Fürsprecher am Tage des Jüngsten Gerichts (vgl. Michael Grandmontagne: Claus Sluter und die Lesbarkeit mittelalterlicher Skulptur. Das Portal der Kartause von Champmol, Worms 2005, S. 345).
Letztlich hat das Westportal der Kartause von Champmol zwei wesentliche Funktionen. Zum einen gibt seine Ikonografie ihrem fromm betenden Stifter die religiöse Gewissheit, Katharina, Maria und das Jesuskind als Mittler göttlicher Barmherzigkeit an seiner Seite zu haben, um so am Tag des Jüngsten Gerichts in das Paradies einkehren zu können. Zum anderen ist es als architektonischer Bestandteil des Kartäuserklosters ein Sinnbild des politischen Machtanspruchs Philipp des Kühnen und spielt auf sein Herrschaftsgebiet und seine Zugehörigkeit zum Königshaus an. Diese zweifache Funktion kommt nicht nur im Portal mit den lebensgroß porträtierten Stifterfiguren, den bedeutungsträchtigen Schutzheiligen und den kleinen Wappenträgern als Konsolfiguren zu Ausdruck. Der gesamte Bau des Klosters, der doppelt so groß wie herkömmliche Kartausen angelegt wurde, auch die kunstvolle Ausstattung der Grablege verweisen auf den dynastischen Rang und den Reichtum Philipps. Desgleichen repräsentiert die Stiftung die Bedeutung des Hauses Valois, aus dem insgesamt dreizehn Könige Frankreichs hervorgingen. Der nur scheinbare Widerspruch zwischen mönchischer Askese und herrschaftlicher Macht- und Prachtentfaltung, der in den Wesenskern der theologisch fundierten Staatstheorien des Mittelalters zielt, macht das Westportal der Kartause zu einem Prüfstein politischer Ikonografie. Gerade im »sakralen Zusammenhang« zeigt sich die komplexe symbolische Aufladung des Herrscherbildes, dessen Gattung daher zu einem der größten und wichtigsten Sammlungsbereiche im Bildindex zur Politischen Ikonographie werden musste.
Louisa Giehler
Bilder als Akteure des Politischen II / Politische Ikonographie
Online: Vortrag von Elisabeth Bronfen
Hermiones Rückkehr - Das Nachleben einer Pathosgeste
Vortrag der Trägerin des Wissenschaftspreises der Aby-Warburg-Stiftung 2017 Elisabeth Bronfen, Ordinaria am Englischen Seminar der Universität Zürich und Global Distinguished Professor an der New York University, anlässlich der Verleihung der Martin Warnke-Medaille am 19.12.2017 im Warburg-Haus…
Latenz in den Künsten / Martin Warnke-Medaille / Publikationen / Wissenschaftspreis
Buchvorstellung: Stimmungs-Atlas »B wie Blickfänger«, ein Buch über das Bild »Betty« von Gerhard Richter
Podiumsdiskussion der Autoren Insa Härtel und Karl-Josef Pazzini mit Nora Sdun (Textem Verlag) und Benjamin Fellmann (Warburg-Haus)
Am Montag, den 18. Dezember 2017 fand als Kooperationsveranstaltung des Warburg-Hauses mit dem Hamburger Textem-Verlag im Rahmen des Jahresschwerpunktes “Latenz in den Künsten” die Vorstellung des Buches Stimmungs-Atlas »B wie Blickfänger« statt. Von 20.00 Uhr bis 21.30 Uhr…
Latenz in den Künsten
Verleihung der Martin Warnke-Medaille an Elisabeth Bronfen
Anschließender Vortrag der Preisträgerin: "Hermiones Rückkehr - Das Nachleben einer Pathosgeste"
Prof. Dr. Elisabeth Bronfen wurde am Dienstag, den 19. Dezember 2017, 19 Uhr, im Warburg-Haus feierlich die Martin Warnke-Medaille verliehen. Sie ist Ordinaria am Englischen Seminar der Universität Zürich und seit 2007 zugleich Global Distinguished Professor an der New York University. Ihre…
Latenz in den Künsten / Martin Warnke-Medaille / Wissenschaftspreis
Online: Vortrag von Anselm Haverkamp
Saussure, der Text, die Bilder
Vortrag von Anselm Haverkamp, Professor of English Emeritus der New York University, New York, Professor Emeritus der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder und Honorarprofessor am Lehrstuhl für Philosophie I der Ludwig-Maximilians-Universität München, am 21.11.2017 im Rahmen der…
Latenz in den Künsten / Publikationen
Seminar »Latenzen im Museum – Bilder im Depot und Bilder als Depot« in der Hamburger Kunsthalle
Eine Kooperation im Rahmen des Schwerpunktthemas "Latenz in den Künsten"
Mit Sandra Pisot, Leitung Sammlung Alte Meister, Hamburger Kunsthalle, Benjamin Fellmann, Warburg‐Haus, Elena Tolstichin, Warburg‐Haus / Forschungsprojekt Bilderfahrzeuge, im Depot Alte Meister und den Reformationskabinetten. Eine Kooperationsveranstaltung der Hamburger Kunsthalle und des…
Latenz in den Künsten
Online: Vortrag von Martin von Koppenfels
›Dream on, dream on, of bloody deeds and death‹: Alptraum und Geschichte in Shakespeares ›Richard III‹
Vortrag von Martin von Koppenfels, Professor am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München, am 24.10.2017 im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema Latenz in den Künsten im Warburg-Haus. Die Aufzeichnung erfolgte durch das…
Latenz in den Künsten / Publikationen
Online: Vortrag von Christopher Wood
3 Frauen
Vortrag von Christopher Wood, Professor und Chair des Department of German der New York University, am 4.7.2017 im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema Latenz in den Künsten im Warburg-Haus. Die Aufzeichnung erfolgte durch das Team des eLearning-Büros der Fakultät für…
Latenz in den Künsten / Publikationen
Die Künste als Archive eines Ausgleichswissens
Cornelia Zumbusch zum Nachdenken über Gleichgewicht im Warburg-Haus anlässlich der Tagung Latente Spannungen - Figuren des Äquilibriums
Das Deckenlicht im Lesesaal der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg ist nicht rund, sondern oval. Durch diese Glaskonstruktion wird der elliptische Raum augenfällig. Die Ellipse war für Warburg als Denkfigur zentral, und das aus mehreren Gründen. In Warburgs Forschungen zur Geschichte…
Latenz in den Künsten
Das Äquilibrium als Modell und mögliche Daseinsmetapher
Eckart Goebel zum interdisziplinären Forschungsfeld anlässlich der Tagung Latente Spannungen - Figuren des Äquilibriums
Unterschiedliche Modelle des Ausgleichens und Balancierens, aber auch die Artikulation einer tiefsitzenden Angst vor dem Verlust des Gleichgewichts von der Antike bis in die Gegenwart zählen zu den Basiselementen kultureller Erfahrung und deren Reflexion. Das alte, von der thebanischen Sphinx dem…
Latenz in den Künsten
Thementag Warten/Latenz in der Hamburger Kunsthalle und im Warburg-Haus
Dialogführung und Vorträge im Rahmen des Schwerpunktthemas "Latenz in den Künsten"
Eine Kooperation mit der Hamburger Kunsthalle zur Ausstellung »Warten. Zwischen Macht und Möglichkeit« WARTEN / LATENZ: Die Veränderung unserer Lebenswelten schreitet mit hohem Tempo voran. Das aktuelle Schwerpunktthema des Warburg-Hauses fragt danach, was mit Vergangenem passiert. Warburgs…
Latenz in den Künsten
Online: Vortrag von Niklaus Largier, Berkeley
Latente Beziehungen: Figur, Plastizität und ›Nachleben‹ bei Warburg und Auerbach
Eine Veranstaltung im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema Latenz in den Künsten, 22.5.2017. Die Aufzeichnung erfolgte durch das Team des eLearning-Büros der Fakultät für Geisteswissenschaften und steht auf der UHH-eigenen Plattform Lecture2Go bereit.…
Latenz in den Künsten / Publikationen
Online: Vortrag von Cornelia Wild, München
Flüchtige Form. Passantinnen bei Baudelaire, Freud und Warburg
Eine Veranstaltung im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema Latenz in den Künsten, 25.4.2017. Die Aufzeichnung erfolgte durch das Team des eLearning-Büros der Fakultät für Geisteswissenschaften und steht auf der UHH-eigenen Plattform Lecture2Go bereit.…
Latenz in den Künsten / Publikationen
Künstlergespräch mit Ursula Schulz-Dornburg
Im Rahmen des Schwerpunktthemas "Latenz in den Künsten"
Eine Kooperation mit der Hamburger Kunsthalle zur Ausstellung “Warten. Zwischen Macht und Möglichkeit” Das was war und das was kommt, verdichtet sich im Nicht-Ort, im Bild des Wartens an der Haltestelle. Latent und doch spürbar, ruhig und klar, surreal und beunruhigend. Ein Gespräch…
Latenz in den Künsten
Latency in the Arts
Focus Topic 2017
Our modern lifeworlds or lived realities change at breakneck speed – and yet things that seem outmoded, the things we believe to have discarded, do not just disappear from the world. So what happens to the things that were there before? How does something fall into oblivion, then continue to…
Latenz in den Künsten