Tagebuch
Der blinde Fleck: Kunsthistorischer Poesie-Abend im Lesesaal mit Schuberts Winterreise, Klavier, Gesang und Bildern
Mit einem Gastbeitrag der Dichterin Nathalie Karagiannis
Im Rahmen des Programms zum Schwerpunktthema 2019 »Die Künste im technischen Zeitalter« lud das Warburg-Haus am Donnerstag, den 17. Oktober herzlich ein in den Lesesaal zu einem besonderen Abend der kreativen Reflexion zwischen Gesang und Musik, visueller Installation, Kunstgeschichte und Poesie: Über das Unsichtbare, das Sehen und Ahnen.
Der blinde Fleck kann in unterschiedlichen Weisen als das verstanden werden, was man nicht sehen kann, von dem wir aber wissen, dass es da ist; was auf uns zukommt und zu dem hin wir uns bewegen, ohne es zu erkennen; was sich hypothetisch und dennoch fühlbar hinter unserem Rücken abspielt; was sich immer vor unseren Augen befand, wir aber nie wahrnahmen; was uns zu größerer Erkenntnis bringen kann uns aber in der Gegenwart entschwindet; was uns erlaubt zu entkommen, indem wir uns ihm verweigern.
Ausgehend von Franz Schuberts Liederzyklus Winterreise auf die Gedichte von Wilhelm Müller, vom Klecks und dem Fleck in der Kunstgeschichte mit Chauvet, Dürer und Aby Warburg, von Malerei und zeitgenössischer Poesie, thematisierten alle Beiträge der fünf Mitwirkenden dieses interdisziplinären künstlerischen Abends das Herumschweifen in metaphysischer oder tatsächlicher Dunkelheit.
Der Abend wurde gefördert vom Konsortium Humanities in the European Research Area (HERA) und konzipiert und kuratiert von Nathalie Karagiannis. Der blinde Fleck erlebte seine Uraufgeführt am 28. Juni 2019 in der Escola Superior de Música de Catalunya (ESMUC), Barcelona.
von und mit
- Lenia Safiropoulou, Athen – Mezzosopran
- Andrej Hovrin, Berlin – Klavier
- Nathalie Karagiannis, Institut für Sozialforschung, Frankfurt – Poesie
- Christina Nakou, Athen – Malerei / Installation
- Yannis Hadjinicolaou, Warburg-Haus Hamburg – Kunstgeschichte
Zwei Gedichte von Nathalie Karagiannis:
a. Löschung
unfreiwillige Gesten, Schlaf mit verstecktem Seufzer, Grenzmauer der Nacht.
sie verstecken sich, sie sieht das Versteck. manchmal, dies geschieht langsam – ganz vorsichtig, damit es nicht wie ein
Geheimnis erscheint, sondern wie eine Wahrheit auf dem Grunde der Zeit.
wenn das Versteckspiel übereilt verläuft, dann kommt der Irrtum auf und dann sieht sie:
das Mädchen ist Irrtum.
wenn er wächst, wird der Irrtum Planet.
möge niemand dessen jemals gewiß sein, dass die Wahrheit, die in die Baumhöhle gemurmelt wurde, entdeckt werde.
möge niemand dessen jemals gewiß sein, dass man im letzten Moment die Wahrheit erfahren werde.
es handelt sich um Dunkelheiten, die jenen aus den Lichthöfen gleichen, die den Tag schlucken statt ihn zu spiegeln.
sie sieht viel, der Planet des Irrtums dreht sich, die Tage beginnen ohne Unterlaß.
b. Löschung
sie hört Stimmen, nicht eine, sondern viele Stimmen. sie bewohnt sie oder wird von ihnen bewohnt, das ist so egal wie die
Farbe eurer Augen. ebenso weit entfernt von der Macht wie von der Abkürzung des Wahnsinns. die Stimmen ziehen an
ihrem Ärmel, sie hält an, sie leiht ihr Ohr. sie verschlingt den Kuchen und gähnt und hat keine Stimme. sie trägt ihre
Stöckelschuhe und ihren Borsalino und macht sich für das Exil bereit. die schwache Liebe läßt sie altern, ihr Mund bedeckt
ihre Stimme und sie verschwinden.
Die Künste im technischen Zeitalter / Universitätsjubiläum 2019
Call for Papers: Internationales Warburg-Kolleg 2018 »Politische Emotionen in den Künsten«
Deadline 31. März 2018
Philipp Ekardt, Frank Fehrenbach, Cornelia Zumbusch Die Rolle von Emotionen in der Politik wird gegenwärtig intensiv debattiert. Gefühle wie Vertrauen, Hoffnung, Angst, Empörung oder Verachtung sind in Soziologie, Politologie bzw. politischer Philosophie als Movens von Protestbewegungen, als…
Call for Papers / Warburg-Kolleg
Neuerscheinung: Magische Bilder
Mnemosyne. Schriften des internationalen Warburg-Kollegs, Band 5
„And if you were to ask me / After all that we’ve been through / Still believe in magic? / Yes, I do.“ Diese Zeilen aus „Magic“ von Coldplay stellen Uwe Fleckner und Iris Wenderholm ihrem einleitenden Aufsatz „Magie und Metapher. Wirkmächtige Bilder in…
Neuerscheinungen / Warburg-Kolleg
Landschaft wahrnehmen
Mit dem Warburg-Kolleg "Memorial Landscapes" in Taipeh II
Zwei Meter, vielleicht drei. Weiter wagen wir uns nicht vor die Türe des Hotels, bis uns der peitschende Wind mit zerzausten Haaren wieder zurückgehen lässt. In Taipeh fegt der Taifun. Während des Wirbelsturms lassen die staatlichen Vorgaben das öffentliche Leben brachliegen, Schulen und…
Warburg-Kolleg
Landschaft beschreiben
Mit dem Warburg-Kolleg "Memorial Landscapes" in Taipeh I
Unerwartet ist die Lautstärke, das unablässliche Rauschen, mit dem sich der tiefgraue Liwu-Fluss durch die hochaufragenden Felsen schiebt und dort in Jahrmillionen seinen Weg durch die erodierten Marmorschichten hindurch gefunden hat. Dort in der Taroko-Schlucht, unweit von Taipeh gelegen, nimmt…
Warburg-Kolleg
Memorial landscapes. World images East and West
International Warburg Seminar starts next week in Taipei
Hamburg University / Aby Warburg Foundation, Hamburg, in cooperation with National Taiwan Normal University and National Taiwan University, Taipei The 2016-2017 International Warburg Seminar, to be held in Taipei on 26-30 September 2016 and in Hamburg on 3-7 April 2017 and aimed at doctoral…
Warburg-Kolleg