Tagebuch
Bildkarte des Monats: März
Fundstücke aus dem Digitalisierungsprojekt »Bildindex zur Politischen Ikonographie«
»Weiße« Dame, »schwarzer« Diener
Ein Bildnistyp zwischen Affirmation und Kritik
Was der französische Dichter François Gacon im 18. Jahrhundert über einen Stich nach Hyacinthe Rigauds Bildnis einer »weißen« Adeligen mit ihrem »schwarzen« Diener schrieb (»Ihr weißer Teint vermag die Frische noch zu steigern / Und selbst die schwarze Haut des Mohren / Gewinnt ihr einen Lichtstrahl ab«), hätte ebenso gut zur Abbildung auf dieser Bildkarte gepasst (zitiert nach Katja Wolf: »Und ihre siegreichen Reize steigert im Kontrast ein Mohr«. Weiße Damen und schwarze Pagen in der Bildnismalerei, in: Viktoria Schmidt-Linsenhoff et al. (Hrsg.): Weiße Blicke. Geschlechtermythen des Kolonialismus, Marburg 2004, S. 27). Wie das Gedicht so zeugen auch die beiden Gemälde vom künstlerischen Umgang mit einer »Ästhetik der Differenz« (Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Ästhetik der Differenz. Postkoloniale Perspektiven vom 16. bis 21. Jahrhundert, Marburg 2010) und berühren damit auch einen bereits seit der Renaissance bekannten Topos der Bildenden Kunst: den sich wechselseitig steigernden Kontrast von vermeintlicher Schönheit und vermeintlicher Hässlichkeit.
In den Bildindex zur Politischen Ikonographie wurde die Bildkarte in der Oberkategorie »Exotica« unter dem Stichwort »Farbige« (120/10) eingerückt. Sie zeigt ein vom französischen Maler Nicolas de Largillière, berühmt für seine Bildnisse von Angehörigen der gehobenen Gesellschaft, im Jahr 1707 geschaffenes Porträt der »weißen« Comtesse de Rupelmonde, Marie-Marguerite-Élisabeth d’Alègre, gemeinsam mit ihrem namenlosen »schwarzen« Diener (England, Privatsammlung). Vor einer dunklen Landschaft wird die Gräfin in aufrechter Pose als Dreiviertelfigur gezeigt. Sie trägt ein opulentes Kleid aus Satin, die Livree des Knaben oder jungen Mannes, die ihn unübersehbar als Diener identifiziert, nimmt in Kostbarkeit und Kolorit Bezug auf die Dame; doch die Braun- und Bronzetöne seines Gewandes sowie seine dunkle Körperfarbe lassen ihn mit dem Hintergrund verschmelzen. Die Livree ist hochgeschlossen und endet in einem breiten metallenen Halsband, während der schlanke Hals der Gräfin durch das tief ausgeschnittene Dekolleté und ihre scheinbar makellose Haut umso deutlicher betont wird.
Mit selbstbewusster Miene richtet die Frau ihren Blick aus dem Bildraum, während der Diener sie von unten her anschaut. Sein leicht geöffneter Mund evoziert den Ausdruck infantiler Naivität, der dargestellte Größenunterschied zwischen den beiden Porträtierten verstärkt den Eindruck von Altersunterschied und Hierarchie. Die Helligkeit ihrer Haut an Gesicht, Dekolleté, Armen und Händen der Gräfin erinnert – zumal dann, wenn man die leicht gelbstichige Reproduktion berücksichtigt – entfernt an weißen Marmor und verleiht der Porträtierten zusammen mit ihrer gekünstelten stillgestellten Pose skulpturale Züge. Die Blässe ihrer Körperfarbe, die in dieser Zeit als vornehm galt, strahlt leuchtend auf das Gesicht des »schwarzen« Dieners (»Gewinnt ihr einen Lichtstrahl ab«) und hebt seine dunkle Körperfarbe, seine Kopfform und Physiognomie deutlich hervor.
Nah herangerückt an die Gräfin und dennoch außerhalb des Bildzentrums, teilweise verdeckt vom voluminösen Kleid, widmet der Diener seine ungeteilte Aufmerksamkeit der Dame, wovon diese jedoch keinerlei Notiz zu nehmen scheint. Er kann dabei als »Verkörperung des erwünschten Betrachterblicks im Bild« gelesen werden, und sein männlich-jungenhafter Blick, der zwischen kindlicher Bewunderung und romantischem Begehren oszilliert, dient so als »Gradmesser weiblicher Schönheit« (Wolf 2004, S. 30). Man kann nicht umhin, seinem Blick zu folgen und die zur Schau gestellte jugendliche Schönheit der »weißen« Dame mit seinen Augen zu betrachten. Der Blick ist damit geschlechtlich codiert, und seine Richtung wird im – und durch das – Bild gelenkt.
Die visuelle Differenz zwischen den beiden Dargestellten wird vom Künstler durch die spiegelbildlichen Umkehreffekte scharf umrissen, gleichzeitig vermitteln die inszenierte körperliche Nähe sowie die farblichen und motivischen Analogien zwischen ihnen eine Form der Zusammengehörigkeit, die aus heutiger Perspektive als höchst problematisch zu bezeichnen ist. Die Asymmetrie der zu jener Zeit herrschenden Machtverhältnisse wird durch das drastischste ikonografische Detail des Bildes visualisiert: Das golden schimmernde metallene Halsband des Dieners trägt entsprechend der historischen Praxis vermutlich den Namen seiner »weißen« Besitzerin eingraviert, der Status des Jungen als ihr »exotischer« Besitz wird auf diese Weise – ganz wörtlich – festgeschrieben. Im Zuge des europäischen Sklavenhandels zirkulierten afrikanische Erwachsene und Kinder, kommodifiziert und verdinglicht, als Arbeitskräfte, höfische Bedienstete oder kostspielige Raritäten in aristokratischen Haushalten und an europäischen Höfen. Als »lebende Exotica« fanden sie auf diese Weise in stereotyp rassifizierten Motiven auch Eingang in die Bildnismalerei und visualisierten so die kolonialen Machtverhältnisse.
Die herausgearbeiteten ikonografischen Besonderheiten in Largillières Gemälde entsprechen jenem Bildnistyp, der in der deutschsprachigen Forschung als »mit Mohrenpage« (Schmidt-Linsenhoff 2010, S. 249) bezeichnet wurde und teilweise immer noch wird, obschon diese Bezeichnung keinem heute noch zeitgemäßen Vokabular entspricht. Als erstes prominentes Beispiel dieses Typs zählt Tizians Porträt Laura Diantis mit kindlichem »schwarzen« Diener von 1523. Dessen ikonografische Merkmale – die Kontrastierung der Körperfarben, farbliche und motivische Analogien sowie die inszenierte Weigerung der »weißen« Dame, den bewundernden Blick ihres »schwarzen« Dieners zu erwidern – sollten künstlerischen Vorbildcharakter entwickeln. Dass der Künstler mit seinem Gemälde der Comtesse de Rupelmonde auf ein ganz ähnliches Werk von Hyacinthe Rigaud rekurriert, macht deutlich, dass Tizians Bildformel auch nach langer Wanderung durch Zeit und Raum im Sinne Aby Warburgs noch wirksam war.
Das Werk Largillières fällt in die Zeit einer regelrechten Mode, die den genannten Bildtyp – unter Anpassung ikonografischer Details an den jeweils herrschenden Geschmack – zwischen 1650 und 1750 verbreitete. Vor dem Hintergrund der kolonialen Expansion Europas zeigte sich hier bereits eine künstlerische und wirtschaftliche Globalisierung; auch Largillière hielt sich zu Studien in Holland und England auf und wird dort mit entsprechenden Kunstwerken beispielsweise von Peter Lely oder Anthonis van Dyck in Kontakt gekommen sein. Der französische Naturhistoriker François Bernier postulierte im ausgehenden siebzehnten Jahrhundert erstmals »Weißsein« als anthropologische Größe. Analog zu rassistischen gesellschaftspolitischen Diskursen wurde »Weißsein auch in der Malerei als Norm konstruiert« (Anna Greve: Farbe – Macht – Körper. Kritische Weißseinsforschung in der europäischen Kunstgeschichte, Karlsruhe 2013, S. 205). Die Mehrzahl der Künstlerinnen und Künstler inszenierte in ihren Bildnissen der »weißen« Aristokratie mit »schwarzen« Dienerinnen und Dienern einen wirkungsvollen Farbkontrast um die »siegreichen Reize« (François Gacon) der Dargestellten zu unterstreichen.
Das Einrücken von Largillières Gemälde in den Bildindex zur Politischen Ikonographie erscheint mit Blick auf die weitverbreitete Bildformel und ihre gesellschaftspolitische Relevanz für die kunsthistorische Forschung nur folgerichtig. Mit ihren über 2.000 Bildkarten enthält die Oberkategorie »Exotica« eine Fülle an visuellem Material, das (auch) solche Einschreibungen historischer asymmetrischer Machtverhältnisse sichtbar werden lässt. Fachkundigen Beobachterinnen und Beobachtern wird nicht entgehen, dass in der genannten Indexkategorie – aus heutiger Perspektive manche davon diskussionswürdig – Begriffe wie »Curiositäten« (120/5), »Farbige« (120/10) und »Naturwunder« (120/30) in der Zusammenschau mit dem enthaltenen Material an die Zusammensetzung sogenannter Wunderkammern aus Spätrenaissance und Barock erinnern. Hervorgegangen aus Kuriositätenkabinetten enthielten diese buchstäblich die ganze Welt in Form von exotica, mirabilia, artificialia, naturalia und scientifica, gesammelt und klassifiziert nach einer bestimmten Systematik. Dass eine »Wunderkammer aus Bildkarten« eurozentrische Blickregime durch deren Sichtbarmachung reproduziert, scheint unvermeidlich, berührt jedoch auch den von Mieke Bal kritisch als double exposure verstandenen Aspekt des affirmativen Herzeigens (vgl. Mieke Bal: Double Exposures. The Subject of Cultural Analysis, New York 1996). Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein Werk wie Largillières Bildnis der Comtesse de Rupelmonde mit ihrem Diener auf den ersten Blick (und mit Blick auf seinen Entstehungskontext) ein starres visuelles eurozentrisches Narrativ erzählt. Und doch fordert es gerade heute dazu auf, nicht bei dieser Feststellung stehenzubleiben, sondern – im Gegenteil – nach Bruchmöglichkeiten zu suchen: Auch für ein »dominantes Repräsentationsregime« gilt die Annahme, »dass Bedeutung niemals vollständig festgeschrieben werden kann« (Stuart Hall: Das Spektakel des »Anderen«, in: Ideologie, Identität, Repräsentation. Ausgewählte Schriften, Bd. 4 (hrsg. v. Juha Koivisto und Andreas Merkens), Hamburg 2004, S. 158).
Kimberly Clark
Bilder als Akteure des Politischen II / Politische Ikonographie
Online: Vortrag von Elisabeth Bronfen
Hermiones Rückkehr - Das Nachleben einer Pathosgeste
Vortrag der Trägerin des Wissenschaftspreises der Aby-Warburg-Stiftung 2017 Elisabeth Bronfen, Ordinaria am Englischen Seminar der Universität Zürich und Global Distinguished Professor an der New York University, anlässlich der Verleihung der Martin Warnke-Medaille am 19.12.2017 im Warburg-Haus…
Latenz in den Künsten / Martin Warnke-Medaille / Publikationen / Wissenschaftspreis
Buchvorstellung: Stimmungs-Atlas »B wie Blickfänger«, ein Buch über das Bild »Betty« von Gerhard Richter
Podiumsdiskussion der Autoren Insa Härtel und Karl-Josef Pazzini mit Nora Sdun (Textem Verlag) und Benjamin Fellmann (Warburg-Haus)
Am Montag, den 18. Dezember 2017 fand als Kooperationsveranstaltung des Warburg-Hauses mit dem Hamburger Textem-Verlag im Rahmen des Jahresschwerpunktes „Latenz in den Künsten“ die Vorstellung des Buches Stimmungs-Atlas »B wie Blickfänger« statt. Von 20.00 Uhr bis 21.30 Uhr…
Latenz in den Künsten
Verleihung der Martin Warnke-Medaille an Elisabeth Bronfen
Anschließender Vortrag der Preisträgerin: "Hermiones Rückkehr - Das Nachleben einer Pathosgeste"
Prof. Dr. Elisabeth Bronfen wurde am Dienstag, den 19. Dezember 2017, 19 Uhr, im Warburg-Haus feierlich die Martin Warnke-Medaille verliehen. Sie ist Ordinaria am Englischen Seminar der Universität Zürich und seit 2007 zugleich Global Distinguished Professor an der New York University. Ihre…
Latenz in den Künsten / Martin Warnke-Medaille / Wissenschaftspreis
Online: Vortrag von Anselm Haverkamp
Saussure, der Text, die Bilder
Vortrag von Anselm Haverkamp, Professor of English Emeritus der New York University, New York, Professor Emeritus der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder und Honorarprofessor am Lehrstuhl für Philosophie I der Ludwig-Maximilians-Universität München, am 21.11.2017 im Rahmen der…
Latenz in den Künsten / Publikationen
Seminar »Latenzen im Museum – Bilder im Depot und Bilder als Depot« in der Hamburger Kunsthalle
Eine Kooperation im Rahmen des Schwerpunktthemas "Latenz in den Künsten"
Mit Sandra Pisot, Leitung Sammlung Alte Meister, Hamburger Kunsthalle, Benjamin Fellmann, Warburg‐Haus, Elena Tolstichin, Warburg‐Haus / Forschungsprojekt Bilderfahrzeuge, im Depot Alte Meister und den Reformationskabinetten. Eine Kooperationsveranstaltung der Hamburger Kunsthalle und des…
Latenz in den Künsten
Online: Vortrag von Martin von Koppenfels
›Dream on, dream on, of bloody deeds and death‹: Alptraum und Geschichte in Shakespeares ›Richard III‹
Vortrag von Martin von Koppenfels, Professor am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München, am 24.10.2017 im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema Latenz in den Künsten im Warburg-Haus. Die Aufzeichnung erfolgte durch das…
Latenz in den Künsten / Publikationen
Online: Vortrag von Christopher Wood
3 Frauen
Vortrag von Christopher Wood, Professor und Chair des Department of German der New York University, am 4.7.2017 im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema Latenz in den Künsten im Warburg-Haus. Die Aufzeichnung erfolgte durch das Team des eLearning-Büros der Fakultät für…
Latenz in den Künsten / Publikationen
Die Künste als Archive eines Ausgleichswissens
Cornelia Zumbusch zum Nachdenken über Gleichgewicht im Warburg-Haus anlässlich der Tagung Latente Spannungen - Figuren des Äquilibriums
Das Deckenlicht im Lesesaal der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg ist nicht rund, sondern oval. Durch diese Glaskonstruktion wird der elliptische Raum augenfällig. Die Ellipse war für Warburg als Denkfigur zentral, und das aus mehreren Gründen. In Warburgs Forschungen zur Geschichte…
Latenz in den Künsten
Das Äquilibrium als Modell und mögliche Daseinsmetapher
Eckart Goebel zum interdisziplinären Forschungsfeld anlässlich der Tagung Latente Spannungen - Figuren des Äquilibriums
Unterschiedliche Modelle des Ausgleichens und Balancierens, aber auch die Artikulation einer tiefsitzenden Angst vor dem Verlust des Gleichgewichts von der Antike bis in die Gegenwart zählen zu den Basiselementen kultureller Erfahrung und deren Reflexion. Das alte, von der thebanischen Sphinx dem…
Latenz in den Künsten
Thementag Warten/Latenz in der Hamburger Kunsthalle und im Warburg-Haus
Dialogführung und Vorträge im Rahmen des Schwerpunktthemas "Latenz in den Künsten"
Eine Kooperation mit der Hamburger Kunsthalle zur Ausstellung »Warten. Zwischen Macht und Möglichkeit« WARTEN / LATENZ: Die Veränderung unserer Lebenswelten schreitet mit hohem Tempo voran. Das aktuelle Schwerpunktthema des Warburg-Hauses fragt danach, was mit Vergangenem passiert. Warburgs…
Latenz in den Künsten
Online: Vortrag von Niklaus Largier, Berkeley
Latente Beziehungen: Figur, Plastizität und ›Nachleben‹ bei Warburg und Auerbach
Eine Veranstaltung im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema Latenz in den Künsten, 22.5.2017. Die Aufzeichnung erfolgte durch das Team des eLearning-Büros der Fakultät für Geisteswissenschaften und steht auf der UHH-eigenen Plattform Lecture2Go bereit.…
Latenz in den Künsten / Publikationen
Online: Vortrag von Cornelia Wild, München
Flüchtige Form. Passantinnen bei Baudelaire, Freud und Warburg
Eine Veranstaltung im Rahmen der Vortragsreihe zum Schwerpunktthema Latenz in den Künsten, 25.4.2017. Die Aufzeichnung erfolgte durch das Team des eLearning-Büros der Fakultät für Geisteswissenschaften und steht auf der UHH-eigenen Plattform Lecture2Go bereit.…
Latenz in den Künsten / Publikationen
Künstlergespräch mit Ursula Schulz-Dornburg
Im Rahmen des Schwerpunktthemas "Latenz in den Künsten"
Eine Kooperation mit der Hamburger Kunsthalle zur Ausstellung „Warten. Zwischen Macht und Möglichkeit“ Das was war und das was kommt, verdichtet sich im Nicht-Ort, im Bild des Wartens an der Haltestelle. Latent und doch spürbar, ruhig und klar, surreal und beunruhigend. Ein Gespräch…
Latenz in den Künsten
Latenz in den Künsten
Schwerpunktthema 2017
Unsere modernen Lebenswelten verändern sich rasant – und doch ist das, was überholt und abgelegt scheint, nicht einfach aus der Welt. Was also passiert mit dem, was vorher war? Wie gerät etwas in Vergessenheit, wie wirkt es unterschwellig weiter und nach welchen Gesetzen taucht es wieder auf?…
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